Eisprinzessin
band das Haar noch einmal zum Pferdeschwanz. Zuletzt zog sie eine dünne Strähne heraus und wickelte sie sich um den Zeigefinger.
»Und wie geht’s weiter?«, fragte Meißner.
»Seit siebzehn Jahren war diese Frau nicht mehr beim Arzt. Keine Vorsorge, keine Impfung, nichts.«
»Und da fragt die Krankenkasse nicht einmal nach?«
»Wenn die Beiträge pünktlich bezahlt werden, ist für die doch alles paletti.«
»Genau. Aber wehe, man ist mit den Beiträgen zwei Monate im Rückstand, dann werden Wucherzinsen erhoben, die der Gesetzgeber sogar noch abgesegnet hat.«
»Eines deiner aktuellen Lieblingsthemen, ich weiß«, sagte Marlu. »Aber kapierst du nicht, was hier los ist? Der alte Helmer hat uns doch erzählt, dass seine Frau an Krebs verstorben ist.«
Meißner nickte. »Und Eberl hat gesagt, dass er deshalb seine Schwiegermutter gar nicht kennt.«
»Aber niemand hat sie als verstorben gemeldet. Und warum sollte ein Mensch, der noch all seine fünf Sinne beisammen hat, Krankenkassenbeiträge, Lohnsteuer und Rentenbeiträge für eine Verstorbene bezahlen? Das ist doch krank.«
»Entweder haben die Angehörigen gewusst, dass sie nicht tot ist, aber nach außen hin so getan, als ob. Oder sie haben es gewusst, weil sie selbst etwas damit zu tun haben, und haben es deshalb den Behörden gegenüber vertuscht. Weiß eigentlich der Juniorchef Bescheid, dass wir eine Leiche bei ihm im Kühlhaus gefunden haben?«
Marlu nickte.
»Und?«
»Er meint, er stünde kurz vor einem wichtigen Geschäftsabschluss und könne eine Leiche in seinem Kühlhaus im Moment nicht gebrauchen. Wir sollen also möglichst diskret vorgehen. Irgendwie ist das alles doch total gruselig, oder?«
»Denkst du dasselbe wie ich?«, fragte Meißner.
»Dass die Leiche aus der Thermokiste Eva Maria Helmer ist? Wer sollte es sonst sein?«
»Aber wie kommt sie dort hinein?«
»Und wo ist dann die Tochter? Auf Malle in ihrer Mühle?«
»Ich glaube, es ist an der Zeit, unseren Mann auf den Balearen zu aktivieren.«
»Unsere Allzweckwaffe, derzeit als attraktives Anhängsel eines Promifriseurs sozusagen undercover unterwegs?« Wenn Marlu lachte, war sie noch ein bisschen schöner als sonst. Sie sah ihn an, ohne mit dem leisen Lachen aufzuhören, stand auf und blies die Kerzen der Reihe nach aus. Dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn durch den Flur ins Bad. Im Aufstehen trank er noch schnell ihren Kaffee aus. Er war kalt und, wie erwartet, pappsüß.
VIERZEHN
Während Marlu noch Schranktüren auf- und zuschmiss, setzte Meißner den Espresso auf. Rund um die Herdplatte hatte er vorsichtshalber Küchentücher ausgelegt, von seinem Standpunkt an der Balkontür aus hatte er alles im Blick. Er wählte eine Nummer aus seinem Telefonbuch und ließ es sehr lang klingeln.
» Buenos días, come stai? Elmar, bist du das?«
»Stefan? Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Ich bin doch nicht mehr im Polizeidienst.«
»Und? Auch als Privatier musst du irgendwann aufstehen, oder?«
»Außerdem ist come stai Italienisch, mein lieber Exchef. Im Spanischen heißt das ¿Cómo está? «
»Das ist sehr gut, dass du dich inzwischen mit der Landessprache vertraut gemacht hast.«
»Warum? Und für wen soll das gut sein?«
»Na, für uns hier zum Beispiel.« Endlich war der Kerl wach. Meißner wusste ja, dass in Spanien die Uhren ein wenig anders gingen. Dass die Spanier später ins Bett gingen, später aufstanden und später aßen, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie hatten von der mallorquinischen Polizei Amtshilfe ersucht, um Auskunft über die Kontobewegungen auf dem Sparkonto von Charlotte Helmer zu erhalten. Es konnte nicht schaden, wenn sich jemand vor Ort darum kümmerte und die Sache ein bisschen beschleunigte. Bei der Gelegenheit konnte Elmar sich auch gleich unter den Deutschen auf Mallorca umhören, ob jemand Charlotte Helmer kannte oder sogar Kontakt zu ihr hatte. Er musste Fischer nicht besonders lang bitten.
»Dann werde ich mich mal unter den deutschen Residenten umhören und gleichzeitig die Gay-Szene antesten. Ich komm eh viel zu selten raus. Ein Nachteil, wenn man die große Liebe mal gefunden hat.«
»Du meinst, dass man dann nicht mehr suchen muss?«
»Eher, dass Carlos sehr eifersüchtig ist. Da muss ich immer ein bisschen aufpassen. Ein paar Tage Palma tun mir vielleicht ganz gut.«
»Aber zum Quasi-Ehebruch möchte ich dich nicht anstiften.«
»Ehebruch? So ein Schmarrn! Man wird doch noch ein bisserl
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