Eisprinzessin
als sie plötzlich allein war, hat sie die Sicherheit verlassen, dass sie es schaffen kann.«
»Und dann haben Sie sich irgendwann für die Geschichte mit dem Krebs entschieden. Damit das Gerede aufhört.«
Helmer nickte.
»Die Leute können grausam sein«, sagte Frau Schattauer und zündete ihren kleinen Scheiterhaufen aus Papier, Holzspänen und Scheiten an. Tristan legte den Rückwärtsgang ein und verzog sich unter den Couchtisch auf seine Decke.
»Wer hat sich in der Zeit danach um Charlotte gekümmert?«
»Elisabeth, unser altes Hausmädchen. Sie blieb im Haus, bis auch Charlotte ins Internat wechselte.«
»Und wo lebt Elisabeth heute?«, fragte Meißner.
»In einem Altersheim bei München.«
»Haben Sie die Adresse und den Namen für mich?«
»Elisabeth Thalmeier. Die Adresse bekommen Sie von meiner Sekretärin.«
»Haben Sie noch Kontakt zu ihr?«
»Früher haben wir sie vor Weihnachten immer besucht, aber die letzten Jahre ist das eingeschlafen. Wir wollten einfach nicht immer wieder an die alten Zeiten erinnert werden.«
Meißner nickte.
»Obwohl man sie ja doch nicht loswird. Die Erinnerungen, meine ich.« Helmer nahm noch einen Schluck Kaffee. »Wie geht’s denn jetzt weiter? Kann ich meine Frau noch mal sehen?«
»So wie es jetzt aussieht, müsste ich Sie sowieso bitten, nach München zu fahren und sie zu identifizieren.«
Helmer nickte.
»Hast du eigentlich schon mit Andi gesprochen?«, fragte die Hüterin des Feuers.
Helmer schüttelte den Kopf.
Meißner nahm noch einen letzten Keks. »Wissen Sie, was Charlotte mit ihrem vorgezogenen Erbe gemacht hat?«
»Nein, wir hatten in den letzten Jahren nicht so viel Kontakt.«
»Sie hat sich eine alte Ölmühle auf Mallorca gekauft, die sie renovieren hat lassen.«
»Dann hoffe ich, dass sie jetzt dort ist«, sagte ihr Vater, »in Sicherheit.«
Auf dem Rückweg nach Ingolstadt rief Meißner noch einmal bei Helmer an, um ihn nach dem Namen der Detektei zu fragen, die er damals beauftragt hatte. Er wusste ihn auf Anhieb. Ein paar Minuten später setzte ein enervierendes Dauerklingeln wie von einem uralten analogen Telefon ein. Marlu musste ihm am Morgen einen neuen Klingelton eingestellt haben. Er hörte ihn jedenfalls zum ersten Mal.
»Na?«, fragte sie fröhlich. »Das Rasseln kannst nicht mal du überhören, gell?«
»Wenn ich das Handy auf stumm stelle, betrifft das aber auch dein Rasseln, oder hast du die Stummschaltung auch manipuliert?«
»Jetzt hör aber auf! Wenn du dir eine PIN -Abfrage nach ein paar Minuten Betriebspause eingestellt hättest, könnte auch keiner was an deinem Handy ändern.«
»Ich kann mir meine PIN doch so schon kaum merken. Wenn’s drauf ankommt und ich nur zwei Versuche habe, vermassle ich es garantiert. Aber hör mal zu.« Er informierte Marlu darüber, was er über den möglichen Briefeschreiber erfahren hatte. Sie sollte über die Detektei Kraus in Ingolstadt noch mehr über diesen Valery herausfinden.
»Helmer verdächtigt also den Liebhaber seiner Frau. Sagst du mir noch mal seinen Namen?«
»Borsow«, sagte Meißner.
»Häh?«, fragte Marlu.
»Ach, vergiss es«, sagte er. »Das war ein Held meiner Kindheit.«
»Borsow? Wer soll das gewesen sein?«
»München 1972, er hat die Goldmedaille im Hundert- und Zweihundert-Meter-Lauf gewonnen. Der schnellste Mann der Welt.«
»Und der war Georgier?«
»Nein, Ukrainer«, sagte Meißner.
»Und wie soll ich mich daran erinnern, wenn ich da noch nicht mal geboren war?«
»Du könntest es nachgelesen haben.«
»Also heißt der Gesuchte Borsow?«
»Nein, er heißt Valery mit V und Y oder Waleri mit W und I am Ende. Der Nachname ist unbekannt. Detektei Kraus. Das alles muss 1995 passiert sein. Hoffentlich gibt’s die Firma heute noch und die Unterlagen sind noch nicht im Reißwolf gelandet.«
»Ja, das hoffe ich auch. Wenn ich nämlich in Georgien nach einem Mann mit dem Mädchennamen Valery plus Variationen des Namens suchen muss, dann gute Nacht.«
»Georgien ist nicht groß, Marlu. Nicht größer als Bayern, hat aber viel weniger Einwohner. Vielleicht erinnerst du dich auch daran nicht, aber das hast du bestimmt früher in der Schule gelernt.«
Marlu schnaubte. »Klugscheißer«, murmelte sie und notierte den Namen. Vielleicht war sie aber auch schon dabei, die Detektei zu googeln oder die Republik Georgien.
»1995«, sagte sie, »also vor siebzehn Jahren. Das könnte mit Kerns vorläufigem Obduktionsbericht übereinstimmen. Er schätzt die
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