Eisrosensommer - Die Arena-Thriller
vielleicht eine Anekdote aus der neusten Opernproduktion erzählen. Zum Beispiel wie das Iphigenien- Lämmchen mitten in der Vorstellung…
Stopp! Pia, du bist eine echte Kitschnudel!
Entschlossen riss sie sich von ihren Tagträumen los. Der Gedanke, dass Lennart sich vor irgendwas zu fürchten schien, war alles andere als romantisch.
Kurz entschlossen nahm sie Humboldts Reisebericht vom Nachttisch und schlug willkürlich irgendeine Seite auf.
»Pass auf: Ich les dir jetzt einfach irgendwelche Wörter vor, eins nach dem anderen, wie’s grad kommt. Und wenn eins der Wörter irgendwas mit dem zu tun hat, was du sagen willst, dann drückst du meine Hand, okay?«
Bevor sie ihre Hand erneut in Lennarts legte, kramte sie einen Filzstift aus ihrer Tasche und riss schweren Herzens das Deckblatt aus Humboldts Reisebericht.
Libri amici. Bücher sind Freunde…
Okay, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen!
Zunächst schien Pias Idee undurchführbar zu sein: Was sollte Lennart mit Begriffen wie »Moräste«, »Faulfieber« und »Mosquiten« anfangen?
Sie begann, gezielter zu suchen. »Und du gibst nur Feedback, wenn du das Wort benutzen kannst, ja? Die Reihenfolge ist ja erst mal egal.«
»Männer? Kälte? Mattigkeit?«
Keine Reaktion.
»Heute? Abend? Gesund?«
Leichter Druck von Lennarts Hand.
»Gut. Moment.« Pia notierte »gesund« und fuhr mit ihrem Fragespiel fort.
Es dauerte fast eine Stunde, aber schließlich hatte Pia die gefundenen Wörter in die richtige Reihenfolge gebracht:
Gefahr – nicht – sagen – gesund.
»Was soll das heißen?« Pia starrte ratlos auf die vier Wörter, die Lennart offenbar so wichtig waren. »Ich soll niemandem sagen, dass du wieder ganz gesund werden wirst?«
Wieder drückte Lennart ihre Hand beinahe bis zur Schmerzgrenze.
Rebecca kannte die Vorstellungstermine so gut wie auswendig. Heute stand die Cavalleria auf dem Plan und Pia würde am Abend ganz sicher bereits in der Maske sitzen, um für ihren Auftritt als sizilianische Dorfschönheit geschminkt zu werden. Sie hatte ihr schließlich oft genug davon vorgeschwärmt.
Die Tatsache, dass Lennart keine Überwachung und keine Monitoren mehr brauchte, war einerseits beunruhigend, andererseits erhöhte das den Kick. Vielleicht galt es, in nächster Zeit Ernst zu machen. Aber erst mal würde sie ihm die Leichenbilder zeigen. Sie entriegelte ihr Handy und warf einen Blick auf das erste Foto. »Da wirst du staunen, mein Lieber«, kicherte sie, »selbst tot seh ich noch super aus!«
»Uh-oh! Zickenkrieg vorprogrammiert«, brummte der füllige junge Pfleger am Empfangstresen und schaute Rebecca begehrlich hinterher. »Der Peters hat echt voll mein Beuteschema: beide blond, beide zierlich, beide echt schnuckelig. Problem für Blondie zwei ist nur: Blondie eins ist schon da!«
»Na und?« Seine Kollegin hob unbeeindruckt die Schultern, »das muss doch nichts heißen. Blondie zwei kann doch dem seine Schwester sein oder ’ne Cousine oder so was.«
»Wetten, dass nicht?«
»Ich wette nie!« Die Schwester schüttelte ungnädig den Kopf. »Boris, echt: Du hast sie nicht mehr alle!«
»Kann ja sein!«, seufzte Boris, »aber was hat der, was ich nicht habe?!« Sehnsuchtsvoll schaute er zu, wie das Mädchen, das er »Blondie zwei« nannte, mit strahlendem Lächeln in der Tür zu Lennart Peters Zimmer verschwand.
»Was machst du denn hier?« Rebeccas Lächeln gefror augenblicklich. »Wieso bist du nicht in der Oper?!«
Wie ein Racheengel stand sie in der Tür, fassungslos und zitternd vor Wut, weil das, was sie »ihr Spiel« nannte, von einem dreisten Eindringling wie Pia sabotiert zu werden drohte.
»Hallo, Rebecca…«, sagte Pia.
Woher weiß sie, dass ich heute eigentlich Vorstellung hätte?!
»…Schön, dich zu sehen.«
Pia wollte aufstehen, doch Lennart hielt ihre Hand fest umklammert.
Okay: ganz ruhig. Nichts anmerken lassen.
So jedenfalls interpretierte sie Lennarts Händedruck.
»Setz dich doch.«
Rebecca warf ihre Tasche auf den Boden, legte ihre Jacke über einen der Besucherstühle und fläzte sich breitbeinig auf den zweiten Stuhl.
Als wollte sie das ganze Zimmer in Besitz nehmen.
»Und? Wie geht’s ihm?«, fragte Rebecca leichthin, ohne Lennart auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Gut. Danke.«
Lennarts Händedruck verstärkte sich und seine Augen signalisierten »Vorsicht«, doch es war zu spät: Rebecca hatte die herausgerissene Buchseite entdeckt und angelte sie vom Nachttisch zu sich
Weitere Kostenlose Bücher