EisTau
einer wilden Grimasse und einem Urschrei fortzujagen. Auf dem Wasser treibt ein phosphoreszierender Film, ich halte das Boot fest, ein rüstiger Schwede zeigt mir beim Einsteigen seine Zeichnung eines Pinguins, der seinen Schnabel himmelwärts streckt, einige Striche, die luftigste Annäherung, da braust ein Schlauchboot heran, Soldaten, die chilenische Flagge prangt seitlich auf dem Bug, es kurvt gefährlich nahe vor uns ab, schlägt Wellen, die mir die Griffstange des Zodiacs aus der Hand reißen, und rutscht unweit von uns an Land, mitten in eine große Schar von Zügelpinguinen hinein, die unwillig auseinanderwatscheln. Der erste Soldat, der dem Schlauchboot entspringt, zündet sich sogleich eine Zigarette an und geht einige Schritte landeinwärts, die Körperhaltung entspannt, mit der Zigarette im Mund, mitten durch die Pinguinkolonie, begafft von unseren Passagieren, die wir so eifrig auf rechten Abstand und richtiges Verhalten getrimmt haben. Übernimm du, sage ich zu Jeremy und laufe in Richtung des Soldaten. Warte, ruft Jeremy, what are you doing , rufe ich. Der Soldat schaut mich verständnislos an. Ich deute auf seine Zigarette, mit unmißverständlichen Gesten fordere ich ihn auf, das Rauchen einzustellen. Er beachtet mich nicht weiter, er dreht sich zur Seite und feixt einem seiner Kameraden zu, dieses Ecce-Ego-Feixen, das mich zur Weißglut reizt, ich schreie, spanische Fetzen, renne auf ihn zu, bleib stehen, schreie ich, packe ihn am Arm. Er schüttelt mich ab, mit einer einzigen, überraschend heftigen Bewegung, ich taumele einige Schritte,versuche mich auf ihn zu stürzen, falle ungelenk zu Boden und mit dem Gesicht in den Schlamm. Er zieht seine Pistole aus dem Halfter, entsichert sie, richtet sie auf mich. Beate und El Albatros stehen auf einmal an meiner Seite, sie reden gleichzeitig auf den Soldaten ein, auf spanisch, sie ziehen mich hoch, sie halten mich fest, in ihrer Mitte, als wollten sie dem Soldaten bekunden, wie wenig Gefahr von mir ausgeht, ich starre ihn an und zittere, er wirft mir einen verächtlichen Blick zu und wendet sich ab. El Albatros hält mich fest, während Beate die Passagiere ablenkt, die sich schnell um uns herum zu einer Menschenkolonie versammelt haben. Nach einer Weile stehe ich so regungslos da, daß El Albatros es wagt, mich loszulassen. Die Soldaten haben uns den Rücken zugedreht, sie marschieren davon, keine Ahnung, wohin, zu welchem Zweck, über ihnen einige Rauchfäden, die sich in der Luft kringeln, und ich frage mich, wo sie die Zigaretten zu Boden werfen und mit ihren Stiefeln ausdrücken werden. Ich spüre, wie Angst nachträglich nach mir greift und zugleich Euphorie aufzieht, als hätte ich einen Klumpen im Hals und zugleich das Gefühl, mich von diesem Klumpen zu befreien.
Im Herbst nach dem heißesten Sommer begann mein penumbrisches Leben. Wie leicht es ist, alles in Frage zu stellen, wenn man einmal damit angefangen hat. Je länger ich anstarrte, was mich umgab, desto weniger Sinn ergab es. Der rationale Überwurf, den wir uns zusammenstricken – tagein tagaus beworben als der Wahrheit letzter Schrei –, läßt sich einfach aufribbeln, wenn man eines der losen Fadenenden zu fassen bekommt. Ein Ruck, und es werden Makel sichtbar und hinter denMakeln andersgelagerte Realitäten: Delegierte auf der globalen Konferenz, eingeschlafen im Plenarsaal, Hostessen in unbekannter Tracht ziehen durch die Reihen und legen Bonbons (oder sind es Pillen?) in die offenen Münder, die Delegierten mampfen im Schlaf, und als sich ihre Münder wieder öffnen, entweicht ihnen ein Wort, das so zerkaut ist wie jedes unentwegt wiederholte Wort, reihum erheben sich die Delegierten, schlafwandeln zum Podium und spucken das zermanschte Wort in einen bereitgestellten Napf, der am Ende des Tages einer geduldig wartenden Öffentlichkeit präsentiert wird, man spricht vom besten aller Kompromisse. Es sind keine Geschöpfe, diese Makler der Vernichtung. Es kommt nicht gut an, wenn man an dem Faden zieht, in Gegenwart der Beruhigten, mit der Unverschämtheit des Uneinsichtigen. Je stärker ich opponierte, desto beharrlicher ignorierte man mich, lud mich immer seltener zu den in unserem Viertel beliebten Grillpartys ein. Wohl bekomm’s, das Bier frisch gezapft, und alle sind sich einig, sie geben viel und erhalten wenig, Schwamm drüber, wir wollen nicht so sein, das Leben ist trotzdem ganz passabel. Wenn ich widersprach, warf mir Helene tadelnde Blicke zu, aus dem Gehege
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