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EisTau

EisTau

Titel: EisTau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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ihrer Damenbekanntschaften, die meine Existenz so desinteressiert zur Kenntnis nahmen wie ein Kfz-Mechaniker ein bald zu verschrottendes Fahrzeug. Mir war bewußt, Helene wartete nur den passenden Anlaß ab, die Tür hinter sich zuzuknallen. Als wir nur die Wochenenden miteinander verbrachten (und nicht einmal alle, Forschungsreisen wechselten sich günstig mit Bridgeturnieren ab), hatten wir uns zunehmend weniger zu ertragen; es war eine Pein, den ganzen Tag und die ganze Woche mit ihr in einem Haus eingesperrt zu sein. Du mußt dich inBehandlung begeben, sagte sie eines Tages, ich weiß nicht, was mit dir los ist, du bist nicht mehr bei Sinnen. Das erzürnte mich. Sie hatte den ersten Stein geworfen.
    – Soll ich dir was verraten, du hast die falsche Versicherung abgeschlossen, das war kreuzdumm von dir,
    eine ihrer Schalen lag in meiner Hand,
    – Brandschutz, brauchen wir nicht, Wasserschutz, brauchen wir auch nicht, Schutz vor diesem Verrückten im eigenen Haus, der jederzeit ausrasten könnte, das brauchten wir jetzt, dringend brauchten wir das, und was ist? was ist jetzt?, das haben wir nicht, was für ein Pech aber auch,
    der springende Gmundener Hirsch flog gegen die Wand, zersplitterte,
    – hoppla, so schaut’s aus, geht so einiges zu Bruch, wenn der Verrückte ausrastet,
    die Delfter Fayencen flogen gegen ein Fenster, zerbrachen mit Forte,
    – wer weiß, was als nächstes dran ist, nichts ist mehr sicher,
    ich hieb mit offenen Handflächen gegen den Schrank, in dem sich ihre Porzellanschätze befanden, eine Zierschale rutschte herab und fiel mir auf die Schulter, bevor sie auf dem Boden zersprang,
    – hast du erwartet, daß ich alles hinnehme? Hast du gedacht, ich merke nicht, wie du mich in das Bett des Prokrustes zwingen willst? Hältst du mich für ein Rind, das darauf wartet, daß sein Gewicht von den Mitmenschen richtig geschätzt wird?
    – Mitmenschen? unterbrach mich Helene mit einem kantigen Schrei, was für Mitmenschen denn, du hast keine Mitmenschen mehr. Ich verstummte, in meinerRechten der portugiesische Hahn. Ich stellte ihn wieder ab und atmete tief ein, darauf konzentriert, tief einzuatmen. Wenn sie recht hatte und ich wirklich von Sinnen war, würden wir nie mehr wissen, ob ich krank war oder mich befreit hatte. Wir entkamen einander vor dem Fernseher, mit grimmiger Beharrlichkeit starrten wir stumm auf den Bildschirm, verfolgten Natursendungen wie ein Jäger die Spur eines angeschossenen Tieres, saßen auf zwei Sesseln, auf dem großen braunen Sofa zwischen uns machte sich eine Verachtung breit, die alles verschlang, was uns je geeint hatte, als wir uns selber noch genügten, in klaren Nächten mit einer Handvoll Sterne. Nichts konnte mich besänftigen, jedes digital reproduzierte Tier erschien mir als gefangene Kreatur, die zuerst kastriert und dann gehäutet worden war. So durchlitten wir einen Abend nach dem anderen, bis es zu dem Wunder jener Auslandsreportage kam, in der Schneemassen zu Tal stürzten, dem Kommentator war der Schreck operettenhaft in die Stimme gefahren, obwohl er nicht live von dem Unglück berichtete, und während er um seine Fassungslosigkeit abgerissene Sätze drapierte, wurde ich hellwach, setzte mich auf, lehnte mich nach vorn, feuerte die majestätische Lawine an, talab, rief ich, talab, ich rief kraftvoll und mit neuem Mut, keine Gnade, schrie ich, als sie das erste Haus schluckte, so schnell, es hatte nicht einmal Zeit zusammenzubrechen, darauf ein zweites, ein drittes Haus, ein ganzes Gehöft überrollte, ich jubelte, als das Dorf verschwand, tief unterm Schnee begraben, und die weiße Oberfläche über einem furios gelösten Problem dem Moderator einige Sekunden lang Schweigen abrang. Helene stand auf und verließ ostentativ kopfschüttelnd den Raum. Tage später setzte ein Brief ihresRechtsanwalts unseren Fernsehabenden ein Ende. Ich warf den Fernseher auf den Sondermüll, zu selten gab es solch erhabene Momente im Programm.
     
     
    Zurück an Bord, schaut mich keiner an, aber alle mir hinterher. Als triefte ich vor Lächerlichkeit. Es spricht sich schnell herum, wenn einer sich eine Blöße gegeben hat. Mary würde mich vielleicht verstehen, sie ist aber nirgends zu sehen (sie war in der ersten Gruppe, die früh am Morgen anlandete, sie hatte mich flüchtig gegrüßt, bevor sie an Land geeilt war). Zu Mittag nehme ich nur eine Suppe, um mich möglichst schnell zurückziehen zu können. Selbst Ricardo hält sein Willkommensgrinsen

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