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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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förderlich ist.«
    »Ach, meine Karriere«, sagte Eschenbach mit einem Seufzer. »Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Sie sind doch derjenige, der gewählt werden will … der Versprechungen macht und sie einhalten muss, nicht ich. Ich stelle nur Fragen.«
    »Ich will Ihnen mal etwas erzählen«, sagte Gloor großmütig und schlug die Beine übereinander. Die Geschichte, die der Stadtrat erzählte, war Eschenbach und Jagmetti nur zu bekannt. Sie handelte von einer kleinen Insel mit tüchtigen Leuten. Obwohl man keine Rohstoffe hatte, nur Geist und Chuzpe, war sie über die Zeit zum reichsten Staat der Welt herangewachsen. Und weil die Insulaner nie einen Machtanspruch vertraten, sondern frei und unabhängig sein wollten, blieben sie von großen Kriegen verschont. Durch geschicktes Taktieren gelang es ihnen sogar, sich in misslichen Situationen einen Vorteil zu verschaffen, vielleicht auch zu erschleichen.
    »Ich kenne die Geschichte«, sagte der Kommissar.
    »Na und?« Die Gleichgültigkeit in Gloors Tonfall war verschwunden. »Ich bin stolz auf unser Land.« Er sagte es mit einem Anflug von Trotz, als müsse er sich verteidigen.
    »Ich auch«, sagte Eschenbach. »Stolz ist vielleicht das falsche Wort. Und trotzdem ist es keine Insel mehr … ist es Festland geworden.«
    »Eben.«
    »Und wenn ich Ihre Partei richtig verstehe, dann hätten Sie am liebsten einen Wassergraben drum herum, einen großen … und vielleicht ein paar Brücken, die Sie nachts hochziehen würden.«
    »Zugbrücken, ja.« Gloor gluckste freudig. »Das ist ein schönes Bild … Ich muss mir das aufschreiben.«
    Eschenbach dachte über den Vergleich nach, dann sagte er: »Ich erzähle Ihnen jetzt auch eine Geschichte: Sie handelt von den Kranken und Schwachen auf dieser Insel … von Leuten, die es nicht einmal mehr fertigbringen, sich selbst zu ernähren.«
    »Die meisten sind selber schuld.«
    »Ich bin noch nicht fertig«, sagte der Kommissar energisch. »Denn ehrlich gesagt, ich habe es lange nicht für möglich gehalten, dass man diese Leute, die überhaupt nichts mehr haben, für Experimente benutzt. Wie Ratten oder Mäuse. Und dass es Politiker gibt, die solches dulden – vielleicht sogar veranlasst haben.«
    »Das ist purer Blödsinn«, bellte Gloor.
    »Nein, das ist es nicht. Wir haben inzwischen Beweise. Und wir werden jeden einzelnen Stein in Ihrem Departement umdrehen … jedes Blatt, bis wir die ganze Wahrheit herausgefunden haben. Sie haben das falsche Departement, Herr Gloor. Ihre Probleme lassen sich nicht mit Zugbrücken lösen.«
    »Ich habe davon nichts gewusst.«
    »Oh doch, Sie haben es gewusst. Sie haben sogar reagiert und den Treffpunkt Züri räumen lassen.«
    »Vermutlich wollten Sie den ganzen Schlamassel dieser christlichen Mission St. Martin in die Schuhe schieben«, mischte sich jetzt Jagmetti ein.
    »Nein, so war es nicht!«
    »Wie denn? Wie soll es denn gewesen sein?« Eschenbach sprach laut und bestimmt. Er spürte, dass der Politiker kurz davor war auszupacken.
    Mit ausdruckslosem Blick starrte Gloor zwischen Jagmetti und Eschenbach hindurch an die Wand.
    »Sie sind ein talentierter Politiker, Herr Gloor«, fuhr der Kommissar fort. »Sie setzen sich Ziele und erreichen sie in der Regel, auch wenn ich Sie deshalb nicht wählen würde.« Einen Moment hielt er inne. »Nehmen wir einmal an, Sie überleben diese ganze Geschichte hier …« Eschenbach deutete auf das Mäppchen, das immer noch auf seinen Knien lag. »Dann dürfte Ihnen bei den nächsten Wahlen das Wirtschaftsdepartement zufallen und Sie könnten zeigen, was Sie wirklich draufhaben.«
    Gloor nickte schweigend.
    »Wenn wir also schon von Karrieren sprechen, reden wir über Ihre eigene. Über eine, die noch gar nicht richtig begonnen hat und die vielleicht einmal über den Stadtrat hinaus ins eidgenössische Parlament führen könnte …« Eschenbach brach seine Überlegungen ab. Er war sich sicher, dass Gloor den Gedankenlauf selbst zu Ende führen und sich auch ohne sein Zutun als visionärer Bundesrat in die Geschichtsbücher der Zukunft eintragen würde.
    Eine Weile sagte niemand etwas.
    Der Kommissar warf einen Seitenblick auf Jagmetti.
    »Es war Dr. Burris Idee, nicht meine«, kam es halblaut. »Er ist mit der Sache auf mich zugekommen … im Rahmen einer Klausurtagung. Wir hatten uns über die neue Ausrichtung des Departements Gedanken gemacht. Da hat er uns Winters Forschungsgebiet vorgestellt. Der große Winter, Sie wissen schon …«

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