Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
Vom Netzwerk:
Joghurt und die Butter wieder zurück in den Kühlschrank.
    Der Kommissar saß immer noch da und spiegelte sich in der blank geputzten Tischplatte.
    »Manchmal sitzt er eine Stunde lang so da und rattert mit den Hirnzellen«, sagte Jagmetti.
    »Ich weiß.« Juliet lächelte.
    »Und dann steht er plötzlich auf, hat eine Idee und kein Mensch weiß, wie er draufgekommen ist.«
    »Und du?«, fragte Juliet. »Was für Ideen hast du?«
    »Ich würde jetzt zu Winter in die ETH fahren … ihn mal so richtig in die Zange nehmen.« Der junge Polizist blinzelte mit beiden Augen und machte ein bedeutendes Gesicht. »Er ist der Schlüssel zu allem, glaube ich. Das Mastermind.«
    Juliet sah schweigend von Jagmetti zum Kommissar und wieder zurück.
    Durch den Spalt des angestellten Küchenfensters hörte man die Glocken einer Kirche, die bedächtig auf halb neun zählten.
    Eschenbach stand auf und sagte zu Juliet: »Kannst du mir noch die Anschrift deiner Freundin Fiona geben? Auf einem großen Blatt Papier … und leserlich, bitte. Ihre Telefonnummer auch.«
    »Und daran hast du so lange rumstudiert?« Juliet lachte, nahm sich Block und Bleistift und schrieb.
    Nachdem Eschenbach das Blatt mit den Angaben in seiner Ledermappe verstaut hatte, sagte er: »Und jetzt fahren wir zu Kurt Gloor.«
    Jagmetti sah ihn ungläubig an.
    Der Kommissar sah das Unbehagen in Claudios Blick. Er ahnte, dass sich der Junge gerade fragte, was er als illegaler Bündner Polizei-Saisonier bei einem Zürcher Stadtrat verloren hatte. »Du musst nicht mitkommen … vielleicht ist es sogar besser, ich gehe allein.«
    Jagmetti sah zu Juliet.
    Sie hob die Schultern.
    »Ach was, ich komm mit«, sagte er.
    Sie fuhren zu dritt bis zum Stauffacher; dort trennten sie sich.
    »Ich kann die Herren bei ihren Streifzügen leider nicht weiter begleiten«, meinte Juliet. Bevor sich die Tür schloss und die Tram weiter Richtung Central holperte, schickte sie eine Kusshand hinaus durch den kalten Morgen zu Eschenbach und überließ die beiden Beamten ihrem Schicksal.

    Der Besucher, der normalerweise in Kurt Gloors stattliches Büro kam, sah als Erstes die großen Bilder an den Wänden. Rote und gelbe Quadrate im Stil von Mark Rothko. Sie sagten ihm: Hier arbeitet ein moderner Mensch. Das geölte Eichenparkett erzählte die Geschichte eines geerdeten Sympathieträgers, der sich in Einklang mit der Natur und sich selbst befand; und das geübte Lächeln hinter dem aufgeräumten Schreibtisch wollte sagen: Kurt Gloor hat alles im Griff.
    Forscher auf dem Gebiet der Social Neuroscience hatten herausgefunden, dass optische Signale dieser Art unter anderem in zwei unterschiedliche Hirnregionen gelangten: ins Stirnhirn, in dem bewusste Denkvorgänge stattfanden, und in die Amygdala, auch Mandelkern genannt, sie saß hinter den Augen in der Mitte des Gehirns und war vor allem für die Gefühlsregungen zuständig. Beide Hirnteile bewerteten das Gesehene auf völlig unterschiedliche Weise, wobei die Entscheidung, ob Freund oder Feind, schon nach wenigen Millisekunden – völlig unabhängig und automatisiert – von der Amygdala getroffen wurde. Das Großhirn kam erst ins Spiel, wenn es daranging, über die Informationen bewusst nachzudenken, sie einzuordnen und gründlich zu verarbeiten.
    Eschenbach hatte dieses Wissen aus den Publikationen von Theo Winter, die bei Juliet im Bücherregal standen. Er wunderte sich, was davon alles bei ihm hängen geblieben war. Seine Amygdala hatte ihre Arbeit längst getan, sein Urteil war gefällt.
    »Ich habe eigentlich gar keine Zeit«, sagte Gloor mit einem gequälten Gesichtsausdruck. »Aber bitte, meine Herren. Wenn’s wichtig ist …« Er deutete auf die kleine Sitzgruppe vor dem Rothko-Verschnitt. »Dann setzen wir uns doch einen Moment.«
    »Weil wir eigentlich auch keine Zeit haben, kommen wir am besten gleich zur Sache«, begann der Kommissar. Sie setzten sich und Eschenbach zog die Liste aus seiner Ledermappe. »Es ist Ihnen sicher nicht entgangen, dass wir in Ihrem Departement Nachforschungen angestellt haben.«
    »Sie haben herumgeschnüffelt … ja, das ist mir zu Ohren gekommen. Und das liegt außerhalb Ihrer Kompetenzen, wohlgemerkt.« Gloor bemühte sich um einen gleichgültigen Tonfall. »Zudem wurde Ihnen …«
    »Wurde was?«, unterbrach ihn der Kommissar. »Sie glauben, man hat mir den Fall entzogen, ist es das?«
    »Genau. Und dass Sie hier unangemeldet hereinplatzen … ich glaube nicht, dass dies für Ihre Karriere

Weitere Kostenlose Bücher