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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Der Stadtrat hielt einen Moment inne, bevor er weitersprach. »Eine Wohlstandsgesellschaft wie die unsere fordert das Glück wie die Kirche die Frömmigkeit. Und ohne Krieg und Elend fehlen einem die Argumente dagegen. Man kommt ins Grübeln, wenn Rezepte gefragt sind und wenn man Lösungen vorlegen muss. Prozac ist für fünfzig Millionen Menschen eine Lebenshilfe. Das sind Zahlen und Fakten, Herr Kommissar. Wir können unsere Probleme nicht schöngeistig lösen. Es braucht Zahlen und Fakten. Jedenfalls hat uns Burri Forschungsergebnisse präsentiert, die bald auch einen Durchbruch in der Schmerz- und Drogentherapie versprachen. Eine Nachfolgegeneration von Prozac , wie er es nannte.«
    »Also haben Sie eingewilligt?«, wollte Eschenbach wissen.
    »Wir geben ja heute schon Drogen an Schwerstsüchtige ab. Heroin, Methadon … Lesen Sie die Richtlinien des Bundes zur Drogentherapie. Dort hat man längst eingeschwenkt. Es geht nicht mehr um Entzug … nicht ums Gesundwerden. Es geht um Alternativen. Andere Städte wie Vancouver haben unser Konzept übernommen. Jeden Monat kommt eine Delegation von irgendwoher und will sich das ansehen. Unser Modell macht Schule, Herr Kommissar.«
    »Es geht um Versuche an Menschen, das ist ein Unterschied.«
    Gloor schwieg eine Weile, dann räusperte er sich. »Also gut, was schlagen Sie vor?«
    »Eine umfangreiche Untersuchung und eine lückenlose Aufklärung der Sachlage«, antwortete der Kommissar trocken. »Das ist das Mindeste.«
    »Und was offerieren Sie?« Es war die Überzeugung des guten Schwimmers, nicht ertrinken zu können, die sich in Kurt Gloors Augen spiegelte.
    »Eine diskrete Lösung, meinen Sie?« Der Stadtrat nickte.
    »Die wird es in diesem Fall kaum geben, denke ich.« Eschenbach nahm seine Ledertasche vom Boden auf und verstaute das rote Mäppchen. Dann zog er das Blatt Papier mit Fionas Anschrift heraus und gab es Gloor: »Diese Frau kann Ihnen bei der Aufklärungsarbeit sicher behilflich sein.«
    »Fiona Fieber?«
    »Sie haben sie erst kürzlich entlassen, ich weiß.« Der Kommissar lächelte. »Aber diesen Fehler können Sie sicher beheben. Und wenn Sie die Sache engagiert angehen, die Dinge offenlegen … dann kommen Sie vielleicht mit einem blauen Auge davon.«
    »Das werde ich«, sagte Gloor zuversichtlich.
    Die Beamten standen auf, verabschiedeten sich und gingen zur Tür.
    »Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?«, fragte Jagmetti, nachdem sie wieder draußen vor der Tür standen und die Mantelkragen hochschlugen.
    »Was?«
    »Dass der mit einem blauen Auge davonkommt.«
    »Nein, aber er glaubt es. Deshalb wird er jeden, der etwas damit zu tun hat, ans Messer liefern. Und wir werden ihm bei seiner Arbeit gehörig über die Schultern gucken.«
    Eschenbach fühlte eine innere Leere. Trotz der vielen kleinen Indizien, die auf Burri hingewiesen hatten; der Kommissar hatte bisher nicht daran glauben wollen. Doch jetzt hatte er Gewissheit und mit ihr zusammen starb einmal mehr auch die Hoffnung.
    Der Schnee knirschte unter ihren Schritten. Sie gingen vorbei am Hochhaus Werd, das sich in seiner ganzen Hässlichkeit und Größe in die Nebelschwaden reckte. Es schien, als blicke es mit der wohlwollenden Güte des Größeren auf die Kirche St. Peter und Paul gleich neben ihm. Zwei Welten, so nahe beieinander; und trotzdem hatten sie sich nichts zu erzählen.

39
    »Du hast es gewusst, nicht wahr?«, fragte Jagmetti.
    Die beiden Beamten saßen auf der Rückbank eines Taxis. Eschenbach schaute ungeduldig auf die Uhr. Zwischen Bürkliplatz und Bellevue staute sich der Verkehr. Es war wie immer.
    »Was meinst du?«
    »Die Sache mit Burri, meine ich.«
    »Mmh.«
    »Sind wir zuerst zu Gloor gefahren, weil Burri dein Freund ist?«
    »Nein.« Der Kommissar hüstelte. Vorher, bei Gloor, da hatte er noch nichts gespürt. Aber jetzt kratzte es im Hals. Er musste niesen. »Nein«, sagte er nochmals.
    »Aber?« Jagmetti gab nicht auf.
    Eschenbach dachte nach. Vielleicht hatte Claudio doch recht und man hob sich die wirklich schwierigen Dinge bis zum Schluss auf.
    »Da war dieser Satz von Meret Meiendörfer über die Angst«, sagte er. »Dass sie einem die Seele aufbröckle … das ist mir geblieben. Ich glaube, Gloor hat Angst.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Politiker haben immer Angst.« Wieder musste Eschenbach niesen. Er nahm sein Stofftaschentuch und schnäuzte sich einmal kräftig. »Die Vorstellung, dass einen die Mehrheit nicht mehr will … dieser Gedanke muss

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