Eistod
davongelaufen. So konnte er eine perfekte Versuchsreihe durchführen.«
»Grauenhaft.« Christian zündete sich eine Marlboro an und inhalierte.
»Ihr bescheißt doch wieder«, sagte Gabriel, der sich von zwei Gästen verabschiedet und wieder an den Tisch gesetzt hatte. Das Schafskopf war sein Restaurant. Es war schon seins gewesen, als es noch eine heruntergekommene Kneipe war und man im Seefeldquartier die Mieten noch bezahlen konnte. »Das war übrigens der Stadtpräsident vorhin …« Gabriel deutete zum Ausgang. »Ich glaub, der hat jetzt ’ne neue Freundin.«
Kathrin und Eschenbach, die mittlerweile wussten, dass ihr Partner nur einen einzigen Trumpf hatte, stachen Gregors Ass mit einem Kreuz ab, während Christian noch eine Zehn draufschmierte.
Gabriel konnte das Blatt nicht wenden; er hatte wegen der Gäste, die sich ständig verabschiedeten, den Faden verloren. »Ihr könnt einfach nicht verlieren«, beschwerte er sich, als die Sache für ihn gelaufen war.
»Wir haben gewonnen«, sagte Eschenbach zu Kathrin, und Christian drückte zufrieden den Stummel seiner Marlboro in den Aschenbecher.
Als sich Kathrin eine Zigarette schnorren wollte, sah der Anwalt prüfend zu Eschenbach hinüber.
Der Kommissar nickte. »Wir fangen neu an«, sagte er mehr zu sich selbst. Er dachte daran, dass sie in den letzten Tagen viel miteinander geredet hatten, Kathrin und er. Über die Erwartungen, die Väter gegenüber ihren Töchtern haben, und über die Freiheit der Kinder, diese nicht immer erfüllen zu müssen. Sie sprachen von der Liebe und den Schwächen, die man trotzdem haben durfte. Und dass es kein Problem sei, wenn Kathrin nicht so werden wolle wie er.
Trotz der Ernsthaftigkeit ihrer Themen hatten sie viel gelacht. Das war das Schönste gewesen: dass er erkannt hatte, wie lustig es mit seiner Tochter war und dass sie ihren Humor nicht verloren hatte.
Christian ging auf seinem kleinen, schwarzen Gerät die EMails durch, die ihn während der letzten zwei Stunden erreicht hatten. In New York war es später Nachmittag. Offenbar lief gerade ein Deal, den Christian betreute. Der Anwalt war nirgends richtig zu Hause. »Theo war ein Genie«, sagte er, als sie auf den Professor zu sprechen kamen. Dann tippte er eine kurze Antwort ins Kästchen. »Ich habe ihn seit der Schule nicht mehr getroffen. Schade, eigentlich.«
Eschenbach erzählte von ihrem Essen in der Kronenhalle. »Dort haben wir dieses japanische Zeugs gegessen, Tschiri oder so ähnlich. Kugelfisch mit Haut und Innereien … zusammen im Topf. So hat er mir es jedenfalls erklärt.«
»Und das hast du gegessen?« Christian sah Eschenbach besorgt an.
»Natürlich nicht. Aber Theo!«
»So ein Blödsinn!«, sagte Gabriel und verzog gequält den Mund. »Chiri in der Kronenhalle …«
»Warum nicht?!«
»Ich erzähl dir gerne mal was über Lebensmittelvorschriften in unserem Land …« Als wieder ein Tisch aufstand, blieb Gabriel sitzen. Er winkte freundlich und sprach weiter: »Tiramisu zum Beispiel, das geht nur noch mit pasteurisierten Eiern, wegen Salmonellen, ist ja klar … Und dann soll einer Chiri kochen, mitten in der Kronenhalle?!«
»Theo hatte schon immer einen Hang zum Absurden«, mischte sich Gregor ein. »Schon früher, wisst ihr noch? Als er der Neuenschwander die tote Maus in den Konzertflügel gelegt hatte.«
»Das war Theo?«, fragte Eschenbach ungläubig.
»Sag nur, das wusstest du nicht.«
»Komm, erzähl!«, sagte Kathrin neugierig zu Christian.
»Alle haben’s gewusst, sogar der Kübler.« Der Anwalt kramte das zweite Päckchen Marlboro aus der Jackentasche und lachte. »Die ganze Maturfeier wurde unterbrochen, der Musiksaal bis auf den letzten Platz geräumt. Wir standen draußen im Pausenhof und wussten nicht, gibt’s jetzt Diplom oder eins auf den Deckel.«
»Und als die Neuenschwander weiter rumzickte«, sagte Gregor und zupfte sich nachdenklich am Bart, »als die nicht mehr wollte, setzte sich der kleine Theo an den Steinway und spielte den dritten Satz der Mondscheinsonate . Rauf und runter. Die ganzen saumäßigen Läufe, ohne einen einzigen Hacker. Finis coronat opus –«
»Das Ende krönt das Werk«, übersetzte Kathrin getreu und Gregor hob anerkennend den Daumen.
»Aber dass er das alles inszeniert hatte«, meinte Eschenbach erstaunt. »Die Geschichte mit der Maus … das habe ich nicht gewusst.«
»Und so einer wird dann Polizist«, witzelte Christian.
»Homines sumus nun dei«, sagte Gregor und hob das
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