Eistod
zusammen. Vor Regierungsrätin Sachers Gnaden, sozusagen.«
»Du meinst, der Fisch ist zu groß?«
»Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein. Aber ich will nicht mit der Angelrute dastehen, wenn eine Harpune vonnöten ist.«
»Einen Griff an die Eier, um …«
»So was in der Art, ja.« Eschenbach grinste.
»Also gut«, sagte Lenz nach einer Weile. »Machen wir eine Voruntersuchung. Beschreib mir diesen Pestalozzi: Name, Wohnort, was du gerade hast. Den Rest finde ich.«
Der Kommissar holte drei gefaltete A 4 -Blätter aus der rechten Jackentasche und gab sie Lenz. Bevor dieser einen Blick draufwerfen konnte, sagte er: »Da sind noch zwei mehr drauf …«
»Ich glaub’s nicht«, stöhnte Lenz. »Du hast damit gerechnet, dass ich diesen ganzen Türk mitmache …«
»Gehofft«, warf Eschenbach ein. »Nur gehofft.«
Lenz suchte seine Lesebrille in der Brusttasche. »Pestalozzi, Schwinn und Winter, nehme ich an.«
»Nicht ganz«, sagte Eschenbach und lächelte. »Winter und Schwinn können wir offiziell abdecken. Immerhin liegt hier eine Anfrage von Sacher vor.« Der Kommissar hielt einen Moment inne. »Am allerliebsten hätte ich dir Sacher auf den Zettel geschrieben …«
»Natürlich, und den ganzen Bundesrat dazu.« Lenz kicherte, setzte sich die Brille auf und las: »Kurt Gloor … Aha, zu viel Glanz und Gloria, denkst du.«
»So ähnlich.«
»Und zu guter Letzt noch eine Frau.« Lenz schmunzelte.
»Richtig.«
»Juliet Ehrat«, las Lenz und bemühte sich, den Namen französisch klingen zu lassen. »Assistentin von Winter steht hier … soso.«
»Genau.« Der Kommissar räusperte sich.
»Juliet … Ein schöner Name, nicht wahr?«
»Doch, das finde ich auch. Ein wirklich schöner Name.«
Als Eschenbach die Wohnung von Lenz verließ und vorsichtig den schmalen Weg Richtung Forchstrasse hochging, war es kurz vor zehn.
Auf einer der vereisten Stufen blieb er stehen. Er drehte sich um, atmete tief ein und genoss den Blick über die Stadt. Die Nebeldecke hatte sich aufgelöst. Vereinzelt noch streunten ein paar Schwaden Richtung Uetliberg. Die überzuckerten Dächer und weißen Gärten; die mit Schnee befrachteten Bäume der Alleen; alles schien friedlich zu sein, friedlicher als sonst. Und ruhig. Auffallend ruhig war es. Auf den Straßen herrschte wenig Verkehr. Nur ein leises Brummen war zu hören. Wie ein Bienenstock im Winter, in dem sich ein Teil des Volkes um seine Königin schart und sich mit den Tieren, die an der Peripherie ihre Flügel schlagen, abwechselt, damit diese nicht erfrieren.
22
Entscheidend in einem Polizeiapparat waren die Ressourcen.
Die erste Sitzung nach den Weihnachtsferien war wie gewohnt Montagmorgen, Punkt acht. Eschenbach traf sich mit den wichtigsten Führungsleuten seines Bereiches. Die Leiter der vier Spezialabteilungen waren dabei, Franz Haldimann vom Ermittlungsdienst und Röbi Ketterer von der Technischen Analyse. Dazu kamen die Chefs der Innen- und Außendienste und ein Stabsoffizier. Zehn Leute, ihn selbst eingeschlossen. Auf der Tagesordnung standen die Top-A-Prioritäten, wie sie es nannten; die großen Sorgen der Kriminalpolizei, auf die man sich konzentrierte und für die man bereit war, einen erheblichen Teil der knappen Mittel zu investieren. Normalerweise waren es Projekte, die über die Kantonsgrenze hinausreichten und nicht selten auch einen internationalen Bezug hatten. Die organisierte Kriminalität, die seit geraumer Zeit von den ehemaligen Ostblockstaaten dominiert wurde, Terrorismus und in zunehmendem Maße Internetkriminalität. Das waren die Standardthemen. Es gab kurze Berichte aus den Bereichen, Gipfeli, Kaffee und ein knapp gehaltenes Protokoll; nie dauerte die Sitzung länger als fünfzig Minuten.
Dass an diesem Montag eine Wasserleiche, die man beim Letten aus der Limmat gefischt hatte, auch auf der Liste stand, irritierte die meisten. Der Tote stand in keinem Zusammenhang mit einem der Top-Themen: Er war kein international gesuchter Terrorist, hatte keinen Bezug zur Mafia oder anderen einschlägig bekannten Organisationen. Man hatte die Datenbanken gründlich durchforstet. Im Gegenteil: Das Team Polizisten, das sich mit dem Fall Letten beschäftigt hatte, war einhellig der Meinung, dass es sich beim Toten um einen Nobody handelte, einen armen Hund, der einen Schwächeanfall erlitten, ausgerutscht und in die Limmat gefallen war. Ertrunken und erfroren. Möglicherweise unter Drogeneinfluss, hatte man erwogen – vielleicht eine
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