Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
Vom Netzwerk:
gestoßen. Es ist, als habe Schwinn zwischen Weihnachten und Neujahr aufgehört zu existieren.«
    »Und die Lebenszeichen von ihm … der Brief, die SMS … ich meine, die könnten genauso gut von jemand anderem stammen. Oder liege ich da falsch?«
    »Nein, da liegst du richtig. Und wenn ich seinen Lebenslauf nicht gesehen hätte, nicht wüsste, dass Konrad Schwinn über die Intelligenz verfügt, mit der sich locker die ganze Welt an der Nase herumführen ließe … also ich würde wetten, dass er tot ist.«
    »Eine Möglichkeit, die man in Betracht ziehen sollte«, meinte Lenz nachdenklich.
    »Allerdings. Und ich bin mir auch überhaupt nicht sicher, ob der ganze Rest da irgendwie reinpasst oder nicht.« Der Kommissar rieb sich das Kinn. »Ich komm nicht weiter, verstehst du? Bis zu diesem Telefonat von Pestalozzi bewegte sich das alles irgendwo an der Peripherie meines Wirkungskreises. Es waren Dinge, die man ernst nehmen konnte oder nicht. Im Kanton Zürich wurden im letzten Jahr neuntausend Verhaftungen durchgeführt …«
    »Neuntausendsiebenhundertdreiundsechzig«, korrigierte ihn Lenz. »Insgesamt 49 Tötungsdelikte, 1830 Körperverletzungen, 4717 Drohungen und Nötigungen, 93 Erpressungen und 204 Vergewaltigungen. Es wurden 145 Mal Schusswaffen und 133 Mal Stichwaffen eingesetzt … und wir hatten 353 Selbstmorde.«
    »Ich weiß … du kennst die Statistiken besser als ich. All das läuft durch den Apparat, Berichte werden verfasst und dort, wo es uns angebracht scheint, werden Untersuchungen eingeleitet. Über eine halbe Million Dienstleistungen pro Jahr.« Eschenbach füllte sein Wasserglas. »Papier, Sitzungen und nochmals Papier; und am Ende wird der Fall hoffentlich aufgeklärt sein. Meistens jedenfalls ist es so.«
    »Wem sagst du das.« Lenz stand auf, ging zwei Schritte zu einem Sessel aus braunem Cord. Der Stoff war abgegriffen und die Holzlehnen glänzten speckig. Auf dem dazugehörigen Fußteil lag eine graue Wolldecke. »Den hat mein Vater zum Neunzigsten geschenkt bekommen – von Radio Beromünster. So hieß das Schweizer Radio früher, als man den Alten noch Stühle schenkte.« Er setzte sich mit einem leisen Seufzer. »Und jetzt willst du, dass ich diesen Pestalozzi durchleuchte … ohne dass es jemand erfährt.«
    »So ist es«, sagte Eschenbach, ohne zu zögern. »Inoffiziell … am üblichen Prozedere vorbei. Nur du und ich.« Eschenbach sah Lenz an. Seine Mundwinkel zuckten leicht, so wie sie es immer taten, wenn er nachdachte oder über etwas brütete.
    »Das kann uns die Pension kosten«, sagte er ruhig.
    »Ich weiß«, sagte Eschenbach. Er nahm ein Stück Brot und tunkte es in den Rest der Sauce. »Soll ich dir sagen, was mich mehr bedrückt als die Angst um meine Pension?«
    Lenz dachte einen Moment nach, dann sagte er: »Dass du von den eigenen Leuten bespitzelt wirst, nehme ich an.«
    »Nicht nur das.« Der Kommissar brach nochmals ein Stück Brot ab.
    »Sondern?«
    »Dass ich nicht mehr weiß, wer die eigenen Leute sind.«
    »Ich finde, jetzt übertreibst du.«
    »Verfolgungswahn? Du denkst, so fängt es an?«
    »Mich wundert’s, dass du den nicht schon hast. Ehrlich. Du und ich, wir verbringen jetzt schon unser halbes Leben damit, andere auszuspionieren, abzuhören und auszufragen. Dachtest du wirklich, es trifft dich nie?«
    »Vielleicht.«
    »Ich habe gute Kontakte zu den großen Privatdetekteien in Europa … M 5 , Proximal Cause et cetera. Hie und da tauschen wir Informationen aus, schulden uns gegenseitig einen Dienst. Soll ich dir verraten, wer ihre größten Kunden sind und was die wollen?«
    »Die Multis … die großen Unternehmen, nehme ich an.«
    »Genau. Und da geht es nicht nur um Industriespionage, das sag ich dir.« Lenz machte eine kurze Pause. »Das meiste Geld – und es sind Millionen – geben sie aus, um ihre eigenen Leute zu bespitzeln. So ist die Welt.«
    Der Kommissar schwieg. Das Brot war gegessen und die Sauce auch.
    »Und du machst dir wegen eines kleinen Assistenten Sorgen. Stell ihn doch einfach. Quetsch ihn aus, sag, was Sache ist.«
    »Hab ich mir alles auch überlegt, sicher. Nur, es passt nicht.« Eschenbach fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Dass man mir Pestalozzi untergejubelt hat … so locker, flockig als unbedarften Assistenten; dann Winters Assistent, dessen Verschwinden ja weiß Gott nicht der Weltuntergang ist …«
    »Letztes Jahr wurden 1753 Vermisste gemeldet«, unterbrach ihn Lenz.
    »Eben. Und alles läuft bei Sacher

Weitere Kostenlose Bücher