Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
Vom Netzwerk:
ließ nicht locker.
    »Ich weiß es nicht.« Der Kommissar fuchtelte mit dem Umschlag und drei losen A 4 -Blättern herum; dann ging er langsam in Richtung seines Büros. »Es ist nichts Handschriftliches dabei.«
    Insgesamt zählte er achtzehn Namen. Sie ließen an das vereinigte Europa denken: Italienische, französische und spanische Namen waren dabei; solche mit ic am Schluss, die vermutlich aus dem Balkan stammten; und dann schweizerische oder deutsche, jedenfalls solche, die so vertraut klangen wie Huber oder Meier. Zehn Leute schienen nicht mehr am Leben zu sein, denn hinter ihren Namen standen Kreuze. Bei etwa der Hälfte der Personen folgte eine Anschrift. Keine richtige Adresse, nur eine Postleitzahl und ein Ort. Eine Stadt oder eine Gemeinde. Bei anderen wurde nur das Land genannt, manchmal gekennzeichnet mit einem Fragezeichen, oder es war überhaupt nichts vermerkt. In einer Spalte waren Daten aufgeführt. Tag, Monat und Jahr. Das älteste Datum war der 11 . November des vergangenen Jahres. Das jüngste, das vier Tage zuvor. Daneben fanden sich Angaben, die nach Ortsbezeichnungen aussahen: Zürich Hauptbahnhof, Belvoirpark, Bahnhof Enge, Bahnhofstrasse, Limmat, Lindenplatz, Basel-Heuwaage usw. In einer weiteren Spalte wurde vier Mal ein Spital genannt.
    Eines der Blätter war eine Kopie des Artikels aus dem Tagesanzeiger: Die Randständigen der Stadt – lassen wir sie erfrieren?
    Es war die Sache, auf die ihn Rosa vor ein paar Tagen aufmerksam gemacht hatte und die, so hatte er später erfahren, von Juliets Freundin Fiona initiiert worden war. Hatte ihm Fiona das Kuvert gebracht? Oder war es womöglich Juliet?
    Eschenbach ging nochmals die Listen durch. Der Vorfall bei Grieder kam ihm in den Sinn; es war am Tag vor Heiligabend, als er zu Burri aufs Fest gegangen war. Da die Einträge dem Datum nach geordnet waren, fand er es sofort. Jacques Rindlisbacher, gestorben in der Bahnhofstrasse, am 23 . Dezember. Und als er weiterforschte, fand er zu seinem großen Erstaunen auch den Toten, den sie vor einer Woche bei der Badi Letten aus der Limmat gefischt hatten. Er stand auf Position 14 . Eschenbach sah zur Sicherheit in seinem Kalender nach. Freitag, der 13 . Januar, das war’s. Er hatte sich nicht geirrt. Vladislav Koczojewic hieß er und das Datum stimmte auch. Als Ort war Limmat eingetragen. Koczojewic – Eschenbach las den Namen ein zweites Mal. Er nahm den Bericht hervor, den er seinen Leuten gerade eben um die Ohren gehauen hatte, und blätterte darin. Seite siebzehn – die Seite mit dem Eselsohr war es. Und neben exakt demselben Namen stand seine Notiz: Müller mit zwei X; der Kommissar hatte es eigenhändig dorthin gekritzelt, als er dem falschen Namen auf die Spur gekommen war. Abgeschrieben, dachte er. Hier hatte offenbar jemand einfach abgeschrieben! Wie früher in der Schule, wenn ein kleiner, dummer Fehler alles auffliegen ließ. Ein wenig war der Kommissar stolz, dass er diese Zusammenhänge sah. Nur was half es? Er hatte keinen Schimmer, wer hier bei wem abgeschrieben hatte. Monsieur Läuchli, sein alter Französischlehrer, wusste immer, wer sich einfach nur verhauen und wer gespickt hatte. Gute Lehrer wissen das, sie kennen ihre Pappenheimer.
    Im Gegensatz zu Läuchli wusste der Kommissar rein gar nichts. Er hatte einen offiziellen Bericht und eine anonyme Liste. Er wusste, das Pestalozzi Ersteren maßgeblich manipuliert hatte. Aber war er auch der Verfasser der Liste? Oder hatte jemand bei ihm abgeschrieben oder war es genau andersherum? Und die Anschrift auf dem Kuvert; es schien dieselbe Handschrift zu sein wie beim letzten Mal. Doch war es wirklich die Handschrift von Konrad Schwinn? Eschenbach war, als blickte er auf ein Gleichungssystem mit ein paar Unbekannten zu viel.
    Den Rest des Morgens verbrachte der Kommissar in fremden Gärten. Genauer gesagt in jenen des Sozialdepartements der Stadt. Natürlich wusste er einiges über den Moloch, der mit einem breit ausgelegten Netz versuchte, die Fallenden aufzufangen. »Eine Palette an Dienstleistungen und Programmen zur Sicherstellung der beruflichen und sozialen Integration« wurde angeboten. Soziokultureller Frieden hieß es im Fachjargon. Man verwendete Wörter wie Existenzsicherung, Überlebenshilfe und Beschäftigung . Zum Teil wurden die Dienstleistungen von privaten Trägern erbracht, die dafür bezahlt wurden. Großzügige Entschädigungen, wie Eschenbach fand. Ein Kuchen, an dem man sich satt essen konnte. Vorausgesetzt, man

Weitere Kostenlose Bücher