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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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Mutter erfahren hatte. »Wissen Sie, wann er zurückkommt?«
    Sie schüttelte energisch den Kopf. »Da können Sie lange warten«, antwortete sie bestimmt. »Wer weiß, ob der überhaupt zurückkommt!«
    Als sie die konsternierten Blicke der Beamten auffing, fügte sie fragend hinzu: »Worum geht es denn überhaupt?«
    Hauptkommissar Braun vergewisserte sich kurz, dass sie zum Opfer lediglich ein rein nachbarschaftliches Verhältnis unterhalten hatte, und eröffnete ihr dann ohne Umschweife, dass ihre Nachbarin ermordet worden war.
    Frau Leicht zeigte sich ehrlich schockiert. »So eine junge Frau«, sagte sie fassungslos. »Wer um Himmels willen tut so etwas?«
    »Um das herauszufinden«, sagte Braun, »sind wir hier und wollen mit Herrn Jensen sprechen.«
    »Was meinten Sie«, hakte Bendt nach, »als Sie sagten, er käme vielleicht nicht zurück?«

    »Na ja«, antwortete sie nach einigem Zögern, »ich meine wegen des Streits.«
    Die beiden Kommissare tauschten einen alarmierten Blick aus, den Frau Leicht sofort zu deuten wusste.
    »Nein, nein«, wehrte sie ab, »also, wenn Sie meinen, dass der sie umgebracht hat …« Sie musste trotz des Schocks lachen. »Der Junge tut keiner Fliege was zuleide und ihr schon gar nicht.«
    Sie entschieden sich, das Gespräch in der Küche ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung fortzusetzen. Nachdem sie Kaffee aufgebrüht hatte, nahmen alle drei am Küchentisch Platz, und sie begann zu erzählen.
    »Wissen Sie«, setzte sie an, »die beiden hatten eine, wie soll ich sagen …« Sie stockte, und Hauptkommissar Braun ließ ihr die Zeit, ihren Gedanken zu formulieren. »… eine ungewöhnliche Beziehung«, sagte sie schließlich achselzuckend.
    »Was meinen Sie damit?«, fragte Bendt.
    »Na ja«, setzte Frau Leicht erneut an, »sie waren ein ungleiches Paar, hatten wohl sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie so eine Beziehung aussehen soll. Ich kann mich erinnern, dass er am Anfang, bevor er ihren Wohnungsschlüssel hatte, häufiger im Treppenhaus saß und auf sie wartete. Ich habe ihn ein-, zweimal angesprochen, wenn ich nach Hause kam.« Sie seufzte.
    »Er war unheimlich hilfsbereit. Wenn er mich kommen hörte, lief er immer herunter und half mir mit den Einkäufen. Ein gut erzogener Junge, wirklich. Aber das interessiert Sie natürlich nicht«, sagte sie entschuldigend,
als wolle sie ihnen nicht mehr Zeit als nötig stehlen.
    »Das interessiert uns durchaus«, ermutigte Bendt sie. Er stellte erstaunt fest, dass die Nachricht sie sichtlich mehr mitnahm, als er es bei einem bloßen Nachbarschaftsverhältnis erwartet hätte. Obwohl es in ihrer Wohnung bullig warm war, umschloss sie ihre Kaffeetasse mit beiden Händen, als würde sie frieren.
    »Der Junge hat mir immer ein bisschen leidgetan, wissen Sie«, fuhr Frau Leicht nachdenklich fort. »Es war wie das Bild vom Kaninchen und der Schlange mit den beiden, wobei er ganz eindeutig das Kaninchen war.« Sie lächelte bitter. »Ich hatte den Eindruck, als investiere er weit mehr als sie. Wenn sie dann heimkam und er saß auf der Treppe, habe ich hier und da Gesprächsfetzen aufgeschnappt. Das Treppenhaus ist wahnsinnig hellhörig, es ist wirklich nicht so, dass ich lauschen wollte«, rechtfertigte sie sich beschämt.
    »Natürlich nicht«, sprach Hauptkommissar Braun seinen ehrlich empfundenen Eindruck aus. Frau Leicht gehörte nicht zu den Menschen, die sich in die Angelegenheiten anderer einmischten. Sie schien ein selbstständiges, beschauliches Leben zu haben, das wahrscheinlich im Wesentlichen aus einer Welt klassischer Literatur bestand, worauf die Fülle der Bücherregale schließen ließ, die ihren Flur säumte.
    Frau Leicht interessierte sich anscheinend nicht für das Privatleben anderer und empfand es zudem als peinlich und belastend, in die Privatsphäre anderer einzudringen, auch wenn dies unfreiwillig geschah. So angenehm
und sympathisch sie ihm als Mensch war, so sehr bedauerte er es in diesem Fall, es hier nicht mit einem Klatschweib wie Frau von Hacht zu tun zu haben. Denn er war überzeugt davon, dass diese ihm über ihre Nachbarn nicht nur eine lückenlose Biografie liefern könnte, sondern auch imstande wäre, das eine oder andere nicht für ihre Ohren bestimmte Gespräch im O-Ton wiederzugeben.
    »Einmal kam ich gleichzeitig mit Frau Mertens nach Hause.« Frau Leicht holte tief Luft, als wäre ihr gerade der schreckliche Grund ihrer Befragung wieder ins Gedächtnis gerückt. »Sie blieb kurz stehen und guckte ihn …«, sie

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