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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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beider Angst und Unruhe Herr zu werden.
    Seine Nähe empfand Anna wie immer als tröstlich. Sie wälzte sich noch einige Zeit unruhig im Bett hin und her, ohne dabei Ruhe zu finden, und raffte sich schließlich dazu auf, den Tag zu beginnen und einen Kaffee zu kochen.
    Es war Sonntag. Früher hatte sie sich immer auf das Wochenende gefreut. Sie hatten viel unternommen, waren segeln gegangen, hatten Tennis gespielt oder sich mit Freunden zum Brunch getroffen. Natürlich gab es auch die unschätzbar kostbaren Sonntage, an denen sie keine Pläne gemacht und sich einfach durch den Tag hatten treiben lassen. Sonntage, an denen sie
ausgeschlafen und anschließend lange und gemütlich in ihrer Küche gefrühstückt hatten, während der Regen gegen die imposante Terrassenfront prasselte.
    Damals hatte sie vor allem die Küche geliebt. Von hier aus konnte man durch die breiten Panoramafenster die auf der Trave vorbeiziehenden Fährschiffe beobachten und die unzähligen Sportboote bewundern, die ihre Bahnen zogen.
    Es war ein Glücksfall gewesen, dass Tom mit Georgs Hilfe den Bauplatz auf dem Priwall gefunden hatte. Tom hatte das Haus selbst entworfen und nach ihren Vorstellungen bauen lassen. Seitdem waren erst fünf Jahre vergangen. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit.
    Die moderne Wohnküche war der Dreh- und Angelpunkt des Hauses. Von hier aus blickte man direkt durch einen breiten ovalförmigen Durchgang in das linker Hand gelegene Esszimmer. Auf der anderen Seite lag das ebenfalls frei zugängliche Wohnzimmer mit dem großen Kamin, der Bibliothek und den eierschalfarbenen Sofas. Sie hatten oft darüber gesprochen, die Sofas austauschen zu müssen, sobald sie Kinder hätten, die laufend mit ihren Schokoladenhänden darauf herumpatschen würden.
    »Ihr werdet wahnsinnig werden«, hatte Sabine prophezeit. Wie sehr sie sich jetzt nach dieser Form von Wahnsinn sehnte …
    Es war immer noch dunkel draußen, und die Küche erschien ihr grau und trostlos. Das Haus war viel zu groß für sie allein, und zudem verfügte sie nicht über die finanziellen Möglichkeiten, es zu unterhalten. Tom
hatte den Löwenanteil des Eigenkapitals eingebracht und zahlte immer noch den Großteil der Raten für die Finanzierung allein. Als er auszog, hatte er ihr angeboten, so lange zu bleiben, wie sie es für richtig hielt, und sie war dankbar dafür gewesen. Natürlich war beiden klar, dass es keine Dauerlösung sein konnte. Sie wohnte jetzt seit einem Jahr allein hier und wusste, dass es langsam Zeit wurde, sich zu lösen.
    Ich habe Toms Großzügigkeit lange genug strapaziert, dachte sie und rührte gedankenverloren in ihrer Tasse.
    Vielleicht fiel ihr das Wegziehen deshalb so schwer, weil sie damit die letzte noch vorhandene Brücke zu Tom abbrechen müsste. Vielleicht scheute sie sich auch vor der Entscheidung, nicht nur einen Neuanfang in einem anderen Haus, sondern auch in einer anderen Stadt zu versuchen. Anna konnte sich ein Leben außerhalb Lübecks mit seinem mittelalterlichen Flair, den zahlreichen Bürgerhäusern, den Kirchen und Klöstern überhaupt nicht vorstellen.
    Sie zog den Kragen ihres Bademantels etwas enger zusammen, weil sie fror. In weiter Ferne durchbrach das Heulen einer Schiffssirene die Stille. Ansonsten vernahm sie nur das leise Surren des übergroßen amerikanischen Kühlschranks in der Ecke. Sie hatte nur das abgedimmte Oberlicht über dem Tresen eingeschaltet, sodass die anderen Räume in der Dunkelheit lagen.
    Der heiße Kaffee tat ihr gut, vermochte aber die innere Kälte, die sie empfand, nicht zu vertreiben. Hubert
lag zusammengerollt vor dem Küchentresen, an dem sie auf einem Barhocker kauerte. Er hatte wie immer den Platz gewählt, der die größtmögliche Körpernähe zu ihr gewährleistete. Die ergebenen Versuche des Tieres, ihr Nähe und Trost zu spenden, rührten sie. Anna fixierte das Innere ihrer Tasse, als erwartete sie, irgendetwas darin ergründen zu können.
    Sie dachte an Marie. Eigentlich dachte sie immer an Marie. Ihren kleinen, zerbrechlichen Körper und die warme, weiche Haut des nur zwei Pfund schweren bläulichen Bündels, das sie in den Armen gewiegt und an sich geschmiegt hatte. Sie war so unglaublich niedlich gewesen: das zarte Gesicht, der zauberhafte kleine Mund, jeder einzelne ihrer Finger, die sie immer wieder liebevoll an ihre Lippen gepresst und geküsst hatte.
    Sie hatte sich jedes winzige Detail eingeprägt, es unauslöschlich in ihrem Kopf und Herzen eingebrannt. Manchmal war ihr,

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