Eiswind - Gladow, S: Eiswind
mehr lange dauern, dachte er. Nicht mehr lange …
19. KAPITEL
A nna packte ihre Sachen zusammen und verließ das Büro. Sie schaltete das Flurlicht ein und lauschte. Es war totenstill. Hubert lief mit seinen tapsigen Schritten in Richtung Treppenhaus voran. Es tat ihr leid, dass sie die Zeit vergessen hatte. Er musste hungrig sein und war zudem seit dem frühen Nachmittag nicht mehr draußen gewesen.
Sie machte an Oberstaatsanwalt Tiedemanns Büro halt und stellte fest, dass die Tür nicht verschlossen war. Er war offensichtlich noch im Gebäude. Sie legte die Akte mit ihrem Durchsuchungsantrag und der für ihn gefertigten Notiz säuberlich auf seinem Schreibtisch ab.
Alles in Tiedemanns Büro gehorchte einer peinlichen Ordnung. Selbst wenn er in Eile war, verließ er sein Büro nie, ohne seine Akten beiseite zu räumen und den kleinen Papierstapel, den er links neben dem Briefbeschwerer aufgehäuft hatte, akkurat zusammenzuschieben.
Ein vernehmliches Poltern direkt neben ihr ließ Anna plötzlich zusammenzucken. »Hubert!«, schalt sie ihren Vierbeiner, als sie sah, was er angerichtet hatte. Sie stellte ihre Tasche ab und richtete den Papierkorb
wieder auf, der nun umgestoßen auf dem Fußboden lag.
»Du solltest doch auf dem Flur warten«, tadelte sie ihn. Sie griff nach ihrer Tasche und verließ das Büro.
Im Treppenhaus angekommen, überlegte sie kurz, ob es Sinn machen würde, noch einmal in den Raum zurückzukehren, in dem das kleine Fest der Staatsanwaltschaft stattgefunden hatte. Sie hätte nachsehen können, wer noch dort war, oder Tiedemann noch einmal persönlich auf ihre Akte ansprechen können, doch sie entschied sich dagegen. Vermutlich waren alle schon weg, und wenn nicht, würde sie sich unweigerlich der Gefahr aussetzen, dem Oberstaatsanwalt beim Abwasch und Aufräumen behilflich sein zu müssen.
Anna stieg die Treppe hinunter und verließ das Gebäude. Sie achtete darauf, dass die schwere Tür hinter ihr ins Schloss fiel, und trat ihren Weg zu dem Gebäude an, in dem sich die Tiefgarage befand.
Es war kalt, und sie fröstelte unwillkürlich. Es war kein Mensch auf der Straße, die friedlich im Schein der Straßenlaternen lag. Sie hatte Georg zugesagt, nicht allzu spät vorbeizukommen. Mit dem Auto war es nur ein Katzensprung von ihrem Büro in der Travemünder Allee zur Elsässer Straße, wo Georg eine der begehrten Villen mit eigenem Bootsanleger direkt an der Wakenitz bewohnte. Eigentlich war sie müde, und es war schon recht spät, aber andererseits hatte sie sich vorgenommen, endlich etwas in ihrem Leben zu ändern, und schließlich hatte sie seine Einladung damals dankbar angenommen.
Georg hatte recht. Auf Dauer war es keine Lösung, sich immerzu in ihren Akten zu vergraben – sie musste mehr unter Menschen. Sie wollte irgendwann wieder ein normales Leben führen.
Sie stieg in einen der beiden Fahrstühle der Tiefgarage, der sich krachend in Gang setzte. Sie schmunzelte über Hubert, der jedes Mal unter dem ächzenden Geräusch zusammenzuckte. »Alles gut, mein Dicker!«, beruhigte sie ihn und tätschelte sein Fell.
Der Fahrstuhl hielt an, und sie stiegen aus. Zu ihrer Verblüffung war es im Parkraum wesentlich dunkler als sonst. Die Ebene, die etwa dreißig Autos Platz bot, wurde lediglich durch einige kleinere, seitlich angebrachte Notlampen beleuchtet. Das Oberlicht war offensichtlich ausgefallen.
Anna forschte nach einem Lichtschalter, konnte aber keinen entdecken. Neben ihrem VW Touareg standen, soweit sie es in der Dunkelheit ausmachen konnte, kaum Fahrzeuge. »Verdammt duster, was?«, hauchte sie Hubert zu und hielt instinktiv seine Leine etwas kürzer.
Anna lief ein Schauer über den Rücken, und sie fürchtete sich unwillkürlich. Das surrende Flackern der trüben Leuchten hatte etwas Gespenstisches. Sie mochte Tiefgaragen nicht besonders, hatte den Stellplatz aber wohl oder übel angemietet, da es in der Umgebung praktisch unmöglich war, irgendwo günstig den Tag über parken zu können.
Ich lese einfach zu viele Krimis, dachte Anna, während sie eilig auf ihren Wagen zusteuerte, der in einem
Winkel links von der Tür zum Treppenhaus abgestellt war. Hinter ihr fuhr der Fahrstuhl mit hörbarem Krachen wieder nach oben.
Anna griff in ihre Manteltasche, konnte aber den Autoschlüssel zu ihrer Verwunderung nicht finden. Hektisch durchwühlte sie mit der rechten Hand ihre Beutelhandtasche, fand ihn jedoch auch dort nicht.
»Dass ich aber auch immer nach etwas suchen
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