Eiszart
allein durch seine dunkle Gesichtsfarbe noch mehr erstrahlten. Er hatte etwas Katzenhaftes an sich. Der andere war korpulent, überragte seinen Kollegen um gut einen Kopf und strahlte Gemütlichkeit aus. Zweifelsohne waren die beiden ein ungewöhnliches Paar. Dies allein rechtfertigte jedoch nicht die Begeisterung, die ihnen die Zuschauer entgegenbrachten.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir freuen uns, dass Sie so zahlreich erschienen sind und präsentieren Ihnen nun voller Stolz unsere Kuriositätenschau!«
Abermals schwoll der Beifall an. Beaumont schüttelte seufzend den Kopf. Hätte er geahnt, welche Art von Veranstaltung ihn hier erwartete, hätte er das Zelt nicht betreten. Er überlegte zu gehen. Aber der Andrang wurde immer größer. Die Menschen trieben ihn und Giffard in die erste Reihe, direkt an den Bühnenrand.
»Sie sind wie die Geier!«
»Es ist eben nicht viel los in Gagnion. Deswegen dürsten die Menschen nach Abwechslung, nach Spannung, nach einer Sensation.«
»Hast du vorher gewusst, dass dies eine Kuriositätenschau ist?«
»Nein, ich las das Schild nicht«, sagte Giffard aufrichtig. »Aber was ist denn an einer Schau so schlecht?«
»Du willst mich nicht verstehen, nicht wahr?«
»Nun warte doch erst einmal ab, was sie uns bieten.«
»Eine Kuriositätenschau lebt von ihren Kuriositäten! Was also werden sie uns schon anderes vorführen als eine arme, geschundene Kreatur, aus deren Leid sie ihre Einnahmen beziehen?«
»Jetzt mal den Teufel nicht an die Wand, Gabriel.« Beaumont seufzte schwer. »Es bringt nichts, mit dir darüber zu debattieren. Ich gehe!«
Er wandte sich ab, doch Giffard hielt ihn am Arm zurück. »So warte doch! Vielleicht ist dies die Gelegenheit, Vorurteile abzulegen?«
»Vorurteile? Ich weiß, wovon ich rede.« Widerwillig blieb der Doktor stehen. »Die Kuriositätenschauen, die ich gesehen habe, waren allesamt gleich. Sie zeichneten sich durch eine ungeheuerliche Menschenverachtung aus!«
»Seit du das letzte Mal auf einem Jahrmarkt warst, ist einige Zeit vergangen. Die Menschen haben sich geändert. Sieh es dir an, danach kannst du immer noch gehen.«
Als wäre dies sein Stichwort gewesen, trat der katzenartige Gaukler einen Schritt nach vorn an den Bühnenrand und breitete die Arme aus. »Sehen Sie die unglaublichsten Dinge aus aller Welt! Meine Brüder und ich haben weder Kosten noch Mühen gescheut, um Ihnen heute den gefährlichen Wolfsmann zu präsentieren. Er ist halb Mensch, halb Tier!«
»Das ist doch was – ein Werwolf! Macht es dich nicht neugierig?«, flüsterte Giffard aufgeregt.
»Wieso höre ich nur immer auf dich? Die Schau ist genau so, wie ich es erwartet habe. Wie vor zwanzig Jahren.«
»Das kannst du mir nicht erzählen, Beaumont. Du willst einen Werwolf erwartet haben?«
»Nein, ich spreche von der Ausbeutung, die hier betrieben wird.«
»Bewahren Sie bitte äußerste Ruhe, wenn wir ihn gleich auf die Bühne holen. Er lebte viele Jahre in der Abgeschiedenheit der Wälder, große Menschenmengen machen ihn aggressiv.«
Der Dickwanst, der trotz seines massiven Leibesumfangs eine gewisse Leichtfüßigkeit an den Tag legte, eilte die Treppe hinunter und riss den Zeltvorhang auf. Das Rasseln schwerer Eisenketten erklang und das Grollen eines Tieres war zu vernehmen. Beaumont hielt den Atem an. Sein Herz pochte schneller, als ein junger, schwarzgelockter Jüngling in das Innere des Zeltes trat, einen anderen, merkwürdig gebückt laufenden Mann an einer Kette hinter sich herziehend. Brutal riss er an dem Eisen, das in einem Lederband um den Hals des Gefangenen endete, sodass dieser gezwungen war, hastig die Treppe emporzusteigen. Kaum hatte er die Bühne betreten, ging ein entsetztes Raunen durch die Menge. Der Gaukler stolzierte mit geschwellter Brust am Bühnenrand entlang, der Wolfsmann folgte ihm mit gesenktem Blick. Widersetzte sich die Kreatur, hob er den Rohrstock in seiner rechten Hand und ließ ihn auf den Rücken des Wilden niedersausen, bis dieser sich unter schmerzerfülltem Geheul fügte. Aufgeregt tuschelten die Frauen in der hinteren Reihe. »Welch haariges Biest«, hörte Beaumont ihre Worte. »Hat man so etwas schon gesehen!« »Widerlich, einfach widerlich dieser Gestank.«
Eine Dunstwolke umhüllte den Wilden und folgte ihm, wo immer er hintrat. Der Geruch von Schweiß stieg Beaumont in die Nase und ließ ihn würgen. Giffard ging es nicht besser. Jegliche Farbe wich aus seinem Gesicht. Rasch hielt er sich ein
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