Eiszart
zu haben, war Beaumont der Alkoholsucht verfallen. Von diesem Tag an hatte man ihn bereits am frühen Morgen betrunken gesehen. Zuerst hatten sich die Patienten von ihm losgesagt, bald darauf seine Freunde. Ohne seine Haushälterin Amelie hätte er seine Tochter Lorraine niemals aufziehen können.
Schließlich hatte Beaumont beschlossen, der Stadt den Rücken zu kehren, weil ihn die Leute nach seinem Absturz in die Welt des Alkohols nicht mehr kennen wollten. In den Pariser Straßen und Cafés hatte er gelernt, die Oberflächlichkeit zu verabscheuen, die hier zum Leben gehörte wie das Atmen. Beaumont wusste, dass Paris auch heute noch dasselbe Gesicht hatte. Jeder war nur auf seinen Vorteil bedacht, jeder eiferte den hohen Herren und Damen nach. Und das Vergnügen – es stand bei allem im Vordergrund. Auf Bettler wurde gespuckt, an anderer Stelle das Geld zum Fenster hinausgeworfen. Er war froh, dieser Verlogenheit entronnen zu sein. Auch vom Alkohol war er losgekommen und hatte nicht nur seinen Frieden mit sich selbst gefunden. Er hatte auch seine Arbeit wieder aufgenommen – hier, in dem ruhigen Städtchen Gagnion.
Seit einigen Tagen wurde seine geliebte Ruhe jedoch empfindlich gestört, denn die Aufbauten für den Jahrmarkt hatten begonnen. Beaumont hielt wenig von solchen Ereignissen, da es die Menschen nicht allein wegen der exotischen Waren zum Markt zog, sondern vor allem wegen der Kuriositätenschauen. In Paris hatte er das Leid einer bärtigen Dame gesehen. Jahre später hatten die selben Betreiber zwei Männer vorgeführt, die am Unterleib zusammengewachsen waren. Noch heute lief ihm ein Schauer über den Rücken, wenn er an diese armseligen Kreaturen zurückdachte, die nicht nur ein grausames Schicksal, sondern auch den Hohn und Spott der Zuschauer hatten ertragen müssen.
Als das Wochenende näher rückte und das Treiben in den Straßen auf ein unerträgliches Maß anschwoll, hätte sich Beaumont am liebsten in sein Arbeitszimmer eingeschlossen und in seine Schriften vertieft. Doch es war ausgerechnet Beaumonts Freund, der Winzer Serge Giffard, der am frühen Vormittag im Vorgarten stand und ihn dazu brachte, gemeinsam mit ihm den Markt zu besuchen. »Wann gibt es schon einmal einen Jahrmarkt bei uns kleinem Völkchen«, sagte Giffard und schob Beaumont durch das Gartentor.
»Einmal im Jahr«, antwortete Beaumont widerwillig, der allein beim Gedanken an die Pariser Händler und ihre Sitten plötzliche Übelkeit verspürte. Er hatte eine tiefe Abneigung gegen ihre Profitgier.
»Möchtest du immer nur Kranke und Gebrechliche um dich haben, mein lieber Beaumont?“
»Es ist meine Berufung.«
»Aber das Leben bietet mehr als das!«
»Erzähl das meinen Patienten, die an der Schwindsucht leiden und früher oder später daran sterben. Wenn ich ihnen nicht helfe, wer tut es dann?«
»Und dafür lieben dich die Leute. Trotzdem solltest du nicht immerzu trüben Gedanken nachhängen.«
Der wohlbeleibte Weinbauer ging durch eine kleine Verkaufsgasse und streckte die Arme nach beiden Seiten aus. »Sieh dich um, mein Freund. Hier gibt es Dinge, die du nirgendwo sonst findest. Warum immer schwermütig sein? Genießen wir den Tag, gönnen wir uns etwas, was wir uns normalerweise nicht leisten würden!«
»Kaufen Sie dieses schöne Tuch für Ihre Gemahlin oder das Fräulein Tochter«, pries ein Händler seine exotischen Stoffe mit orientalischen Mustern an.
»Ein Kleid in solchen Farben würde Lorraine sicher gut stehen«, versuchte Giffard seinen Freund zum Kauf zu verführen. Beaumont winkte ab. »Der Kleiderschrank meiner Tochter droht schon zu bersten.«
»Wie wäre es mit einem edlen Parfüm, der Herr«, rief ein junger Mann vom Nachbarstand und öffnete eine kleine, bauchige Phiole. Er träufelte nur einen winzigen Tropfen auf sein Handgelenk und schnupperte genießerisch daran. »Ah, welch ein Duft!«
»Kauft Obst, frisches Obst! Früchte aus Afrika und Asien!«
Beaumont lief unbeirrt weiter und ignorierte die ausgestreckte Hand, die ihm eine Apfelsine hinhielt. Sein Weg führte ihn an einem kleinen Stand vorbei, hinter dem eine alte Wahrsagerin saß, hin zu einem großen Zelt, das fast den gesamten hinteren Teil des Platzes einnahm.
»Hereinspaziert! Immer hereinspaziert«, rief ihnen ein Mann mit einem riesigen Zylinder zu, der ihn um zwei Köpfe größer erscheinen ließ. »Genießen Sie das beste Schauprogramm jenseits und diesseits der Seine.«
»Oh, bitte nicht«, sagte Beaumont mit einem
Weitere Kostenlose Bücher