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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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»Mann, willst du unbedingt Selbstmord begehen? Vielleicht habe ich mich in dir geirrt, und du bist doch kein geborener Held. Vielleicht bist du ein geborener Masochist. Verschwinden wir von hier, bevor das Dach einstürzt!«
    Harry stöpselte das Mikrofon aus und gab es Pete. »Das würde mich kalt lassen. Schließlich komme ich aus Boston. Schon vergessen? Soll das Dach ruhig einstürzen. Was kümmert's mich?«
    »Vielleicht bist du auch kein Masochist. Vielleicht bist du schlicht und einfach nur verrückt.«
    Er hob das Funkgerät an den dicken, sich überkreuzenden Lederriemen hoch, die am Gehäuse befestigt waren. »Nur Verrückte und Engländer gehen in die Mitternachtssonne hinaus«, sagte er.
    Er erwähnte nicht, worum er Gunvald gebeten hatte, denn er hatte sich entschlossen, sich Petes Rat zu Herzen zu nehmen. Er würde keinem mehr vertrauen. Nur sich selbst. Und Rita. Und Brian Dougherty.
    Als Harry aus der Höhle in die wild heulende Nacht trat, stellte er fest, daß der Schneefall endgültig einem Eissturm gewichen war. Die winzigen Nadeln waren härter als bloßer Graupel und schimmerten scharf im Licht der Scheinwerfer. Sie fielen wie Wolken aus Diamantenstaub fast horizontal zu Boden und zischten schleifend auf jeder Oberfläche, die sie berührten. Sie brannten auf den unbedeckten Teilen von Harrys Gesicht und überzogen seinen Sturmanzug augenblicklich mit einem undurchsichtigen Panzer.
     
    Der Vorratsschuppen der Station Edgeway bestand aus zwei zusammengefügten Wellblechschuppen, in denen die Expeditionsmitglieder Werkzeuge, Ersatzteile, alle Geräte, die nicht in ständigem Gebrauch waren, Lebensmittel und den anderen Proviant verstaut hatten. Als Gunvald die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog er seine schwere Jacke aus und hängte sie auf ein Holzgestell neben einem der elektrischen Heizkörper. Die Jacke war mit Eis überzogen, und als er endlich seine äußeren Stiefel ausgezogen hatte, floß bereits Wasser von ihr hinab.
    Obwohl der Weg vom Kommunikations-Schuppen zum Vorratslager nur kurz war, war er so durchgefroren, als wäre er durch hohe Schneeverwehungen und Wolken von windgepeitschten Eisnadeln gestapft. Nun schwelgte er in der gesegneten Wärme.
    Als er in seinen Filzstiefeln zur Rückseite der langen Hütte ging, gab er kein Geräusch von sich. Er wurde die unangenehme Vorstellung nicht los, daß er ein Dieb sei, der ein fremdes Haus durchstöberte.
    Die hintere Hälfte des Vorratsschuppens lag in samtener Dunkelheit. Das einzige Licht stammte von der schwachen Glühbirne an der Tür, durch die er hereingekommen war. Einen Augenblick lang hatte er das unheimliche Gefühl, daß in den Schatten jemand auf ihn wartete.
    Er war natürlich allein. Sein Unbehagen beruhte auf seinem Schuldgefühl. Ihm gefiel nicht, was er hier tun mußte, und er kam sich vor, als hätte er es verdient, auf frischer Tat ertappt zu werden. Er griff nach oben in die Dunkelheit, fand die altmodische Lichtschnur und zog daran. Eine unverkleidete Hundert-Watt-Birne flammte auf und warf ein kaltes, weißes Licht. Als er die Schnur losließ, schwang die Birne hin und her, und der Schuppen wurde mit springenden Schatten ausgefüllt.
    An der Rückwand standen neun Metallschränke. Sie sahen wie schmale, aufrecht stehende Särge aus. Auf den grauen Türen der Schränke waren mit der Matrize Namen geschrieben, weiße Buchstaben über jeweils drei schmalen Luftschlitzen: H. CARPENTER, R. CARPENTER, JOHNSON, JOBERT und so weiter.
    Gunvald ging zum Werkzeugschrank und holte einen schweren Hammer und ein eisernes Brecheisen heraus. Er würde fünf dieser Schließfächer gewaltsam öffnen müssen. Er hatte vor, einen Schrank nach dem anderen aufzubrechen, so schnell wie möglich, bevor ihm doch noch Zweifel kamen.
    Bei vorhergehenden Expeditionen auf die Eisdecke hatte man herausgefunden, daß jeder Teilnehmer ein privates Fach benötigte, das nur ihm zur Verfügung stand, ganz gleich, wie klein es sein mochte, auch wenn es nur ein paar Quadratzentimeter groß war. Wichtig war lediglich, daß er dieses Fach als das seine betrachten konnte, in dem er persönliche Besitztümer verstauen und das niemand unbefugt öffnen konnte. In der Enge einer arktischen Forschungsstation, besonders bei einer, die in einer Ära der Geldknappheit lediglich mit einem Minimum an Finanzierung auskommen mußte, und besonders bei sehr langen Aufenthalten, konnte die natürliche Sehnsucht eines Durchschnittsmenschen nach Zurückgezogenheit

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