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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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sehr schnell zu einem heftigen Verlangen danach werden, zu einer alles beherrschenden Besessenheit.
    In der Station Edgeway gab es keine Privatquartiere, keine Schlafzimmer, in denen man sich allein aufhalten konnte. In den meisten Hütten waren jeweils zwei Personen untergebracht, und dazu noch diverse Ausrüstungsgegenstände. Und das gewaltige, leere Land hinter dem Lager bot niemandem Zuflucht, der eventuell Einsamkeit suchte. Wenn man sein Leben liebte, ging man einfach nicht allein hinaus, niemals.
    Oft bestand die einzige Möglichkeit, tatsächlich mal ein paar Minuten lang garantiert allein zu sein, darin, eine der beiden beheizten Toilettenkabinen aufzusuchen, die an den Vorratsschuppen angebaut waren. Aber es war nicht besonders praktisch, persönliche Besitztümer auf der Toilette unterzubringen.
    Schließlich hatte jeder zumindest ein paar persönliche Gegenstände, die er den anderen nicht zeigen wollte: Liebesbriefe, Fotos, Andenken, ein Tagebuch, was auch immer. Wahrscheinlich war nichts Schändliches in den Schließfächern versteckt, nichts, was Gunvald schockieren oder den Besitzer in Verlegenheit bringen würde; Wissenschaftler wie sie, die vielleicht übermäßig vernünftig und ihrer Arbeit leidenschaftlich zugetan waren, gehörten zur milden Sorte und verbargen meistens keine schrecklichen, dunklen Geheimnisse. Der Sinn der Schließfächer bestand lediglich darin, einen absolut persönlichen Freiraum zu schaffen und damit in einer klaustrophobischen Umgebung und einer Gemeinschaft, in der man nur allzuleicht eine Gruppenidentität annehmen konnte, was zu psychologischen Störungen und Depressionen führen konnte, die nötige Individualität zu bewahren.
    Die persönlichen Besitztümer einfach unter sein Bett zu stopfen war eine unbefriedigende Lösung, auch wenn alle übereingekommen waren, daß der Raum unter einer Matratze heilig war. Das sollte nicht heißen, daß die Expeditionsmitglieder einander automatisch mißtrauten. Vertrauen hatte nichts damit zu tun. Das Verlangen nach einem sicheren privaten Raum war aber ein starkes und vielleicht sogar irrationales psychologisches Bedürfnis, und nur diese abschließbaren Metallschränke konnten es befriedigen.
    Gunvald benutzte den Hammer, um ein Kombinationsschloß nach dem anderen aus fünf der Schränke zu schlagen. Die zerbrochenen Einzelteile schepperten über den Boden und prallten von den Wänden ab, und in dem Vorratsschuppen klang es plötzlich wie in einer Gießerei.
    Gehörte tatsächlich ein psychopathischer Mörder der Edgeway-Expedition an, war eins der vermeintlichen wissenschaftlichen Lämmer ein Wolf im Schafspelz, und falls es Beweise gab, mit deren Hilfe dieser Mann identifiziert werden konnte, waren die Schließfächer der logische — und der einzige — Ort, wo man suchen mußte. Harry war davon überzeugt gewesen. Zögernd pflichtete Gunvald ihm bei. Es war ihm einsichtig, daß selbst ein Soziopath, der problemlos als normal durchgehen konnte, unter seinen persönlichen Besitztümern vielleicht irgendwelche Dinge aufbewahrte, die sich von denen enthüllend unterscheiden, die normale Menschen so sehr schätzten, daß sie sie mit an den Pol nahmen. Irgendetwas, das auf eine bizarre Fixierung oder Besessenheit hinwies. Vielleicht etwas Entsetzliches. Etwas Unerwartetes und so Ungewöhnliches, daß es sofort zu schreien schien: Das gehört einer gefährlichen und gestörten Person!
    Gunvald zwängte den Haken der Brechstange in das runde Loch, in dem sich das Kombinationsschloß befunden hatte, zerrte sie mit aller Kraft zurück und riß das Schloß aus dem ersten Schrank. Das Metall quietschte und verbog sich, und die Tür sprang auf. Er hielt nicht inne, um hineinzuschauen, sondern machte schnell mit den nächsten vier Türen weiter: Päng, päng, päng, päng! Fertig.
    Er ließ die Brechstange fallen.
    Seine Hände schwitzten. Er wischte sie an der isolierten Weste und dann an den gesteppten Hosen ab.
    Nachdem er sich eine halbe Minute Ruhe gegönnt hatte, um wieder zu Atem zu kommen, hob er eine Holzkiste mit tiefgefrorenen Lebensmitteln von den großen Stapeln mit Vorräten an der rechten Wand. Er stellte die Kiste vor den ersten Schrank und setzte sich darauf.
    Er griff nach einer mit einem Reißverschluß versehenen Westentasche, um seine Pfeife herauszuholen, entschied sich dann aber dagegen. Er berührte den Pfeifenkopf, doch seine Finger zuckten, und er zog die Hand zurück. Die Pfeife entspannte ihn. Sie vermittelte

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