Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
Vom Netzwerk:
Leiche, über die sie aber mangels spurenkundlichen Fachwissens tatsächlich nicht verfügt.
    Die staatsanwaltliche Leichenschau hat allenfalls dann Bedeutung, wenn ihr zwingend eine Leichenöffnung folgt. Die Praxis zeigt jedoch, daß eine solche Anordnung im Ermessen des Staatsanwalts liegt und somit willkürlich getroffen wird. Fehlentscheidungen sind die logische Folge.
    Die für jedes Bundesland spezifisch geltenden rechtlichen Regelungen und die Qualität der obligatorischen ärztlichen Leichenschau sind bundesweit so unzulänglich, daß auch hier ein erhebliches Dunkelfeld unterstellt werden muß. Westdeutsche Rechtsmediziner beklagen seit langem die extrem hohe Fehlerquote bei der Todesursachendiagnostik (bis 80 Prozent). Folge: Jährlich bleiben nicht nur nahezu 2 000 Tötungsverbrechen unentdeckt, sondern auch die tatsächliche Rate für vollendete Suizide in der Bundesrepublik liegt um ein Vielfaches höher als die offiziellen statistischen Angaben ausdrücken.
    Demgegenüber gewährleisteten die Leichenschauanordnung, die gerichtsmedizinische Leichenöffnungspraxis (im Vergleich zur Bundesrepublik wurden wesentlich mehr Autopsien vorgenommen) und die polizeiliche Untersuchungsqualität in der DDR, das Dunkelfeld auf ein sehr geringes Niveau zu begrenzen.
    Fazit: Die DDR-Zahlen sind zwangsläufig deshalb höher, weil mehr Suizide aufgedeckt wurden.
    Auch die von den Gesundheitseinrichtungen erfaßten Selbstmordversuche müssen in die Gesamtbelastung aufgenommen werden. Da sie überlebt werden, erscheinen sie in keiner Todesursachenstatistik. Hinzu kommt noch eine unbekannte Größe völlig latent gebliebener Versuche. Alles in allem, so besagen kriminologische Schätzungen, erreichen sie das Fünfzehnfache der vollendeten Selbstmorde.
    Die Gesamtquote der vollendeten und gescheiterten Suizide in der DDR dürfte somit die beachtliche Zahl von jährlich knapp 70000 Betroffenen, quer durch alle sozialen Schichten, erreicht haben.
    Anzumerken in diesem Zusammenhang ist noch: In einzelnen gegenwärtigen Veröffentlichungen weichen die Suizidzahlen voneinander ziemlich ab. Das darf nicht verwundern, denn dafür gibt es verschiedene Gründe.
    Stützen sich die Untersuchungen nämlich auf eine Analyse der Totenscheine, sind die Ergebnisse deshalb höchst unzuverlässig, weil – verursacht durch subjektive Fehler und objektive Erkenntnisgrenzen – bei mehr als einem Drittel aller Leichenschauen die Angaben zur Todesursache falsch sind. Etwas genauer hingegen sind statistische Auswertungen des Sektionsgutes der gerichtsmedizinischen Institute, denn die Leichenöffnungsergebnisse sind weitestgehend zuverlässig. Doch ist bei verschiedenen Todesursachen kein Nachweis suizidaler Vorgänge möglich. Ihn zu erbringen ist einzig und allein polizeiliche Aufgabe. Hinzu kommt, daß beileibe nicht alle Suizide obduziert werden.
    Die polizeiliche Statistik wiederum erfaßt alle untersuchten Todesermittlungssachen, die als Suizid abgeschlossen werden. Unberücksichtigt bleibt dabei, daß nicht wenige Leichenschauärzte Suizide als natürliche Todesfälle verkennen. Somit gelangen diese niemals zur Anzeige. Auch hinter einem Teil der ungeklärten Vermißtenfälle verbergen sich Suizide, die wegen der fehlenden Leiche kriminalistisch nicht untersucht werden können.
    So vermittelt also die Statistik nur Tendenzen, und die Dunkelziffer verweist auf Schwachstellen.
    Die DDR nahm mit ihrer Suizidrate im internationalen Vergleich lediglich einen mittleren Platz zwischen den europäischen Ländern ein:
    So waren beispielsweise Österreich mit 25, Finnland und Dänemark mit 26 und die Volksrepublik Ungarn sogar mit 45 vollendeten Suiziden auf einhunderttausend Einwohner jährlich deutlich höher belastet.
    Allerdings registrierten einige europäische Länder (wie Großbritannien mit 8, Spanien mit 7 und Griechenland sogar nur mit 4 jährlichen Suiziden pro einhunderttausend Einwohner) auch erstaunlich niedrige Quoten.
    Bereits diese wenigen Zahlenangaben zeigen zweierlei: Zum einen sind die offiziellen statistischen Angaben schon deshalb relativ, weil über das von Land zu Land unterschiedlich große Dunkelfeld keine Kenntnisse vorliegen. Zum anderen wird die Widersinnigkeit aller bisherigen Argumentation über die Selbstmordursachen in der DDR deutlich. Und das deshalb, weil das ideologische Konstrukt des sozialistischen Menschen, das letztlich ein utopisches Gebilde bleiben mußte, die Verschiedenartigkeit und Komplexität der

Weitere Kostenlose Bücher