Ekel / Leichensache Kollbeck
Einflußbedingungen auf das Suizidgeschehen nicht ausreichend berücksichtigte.
Im allgemeinen bildet die vorsätzliche Selbsttötung das Ende eines prozeßhaften Geschehens, dem entweder durchaus deutbare Ankündigungssignale oder sogar gescheiterte Suizidversuche vorausgehen. Seltener sind sie das Ergebnis spontaner, kurzschlußhafter Entscheidungen ohne erkennbare Dispositionen. Nicht mehr verkraftbare Lebenssituationen, als unerträglich empfundener Leidensdruck oder unüberwindbare Widersprüche zwischen Anspruchsniveau und Lebensrealität sind die mobilisierenden Elemente für die Motivbildung.
Die Intentionen der Betroffenen können dabei aber ganz verschiedenartig sein: Zumeist richten sie sich auf die Erreichung endgültiger Ruhe, auf die Befreiung von Schmerzen, Gebrechlichkeit oder quälender Einsamkeit.
In anderen Fällen herrscht vor, objektiven oder vermeintlichen Bedrohungssituationen, sozialen Zusammenbrüchen, Beziehungskonflikten, disziplinarischen oder rechtlichen Konsequenzen zu entfliehen.
Ursachen- und Motivgruppen für die 2949 vollendeten Selbstmorde der Jahre 1975 bis 1981 in Ostberlin
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Sie können aber auch die Vergeltung einer empfundenen seelischen Verletzung ausdrücken. Mitunter beabsichtigt der Suizident, mit seinem Tod einen bestimmten Appell an die Umwelt zu richten.
Wie überall in den europäischen Ländern liegt der Anteil der Männer bei den 20- bis 50jährigen Suizidenten in der DDR etwa ein Drittel höher als bei den Frauen. Dagegen dominiert bei den über 65jährigen erwarungsgemäß das weibliche Geschlecht – ein Umstand, der sich aus der durchschnittlich geringeren Lebenserwartung des Mannes erklärt. Aber auch Kinder und Jugendliche verübten Selbstmord – geringe Zahlen zwar, aber mit steigender Tendenz.
Im allgemeinen bevorzugen Männer „härtere“ Suizidmethoden (z. B. Erhängen, Überfahrenlassen), während Frauen mehr zur Anwendung „weicher“ Mittel (insbesondere Schlafmittelvergiftung) neigen. Diese phänomenologische Tatsache trifft allerdings auf alle europäischen Länder zu und ist deshalb kein DDR-spezifisches Merkmal.
Übersicht der typischen Durchführungsarten bei 10000 vollendeten Selbstmorden in der DDR (Untersuchung der Jahre 1979 bis 1985)
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Die großstädtischen Territorien sind stärker belastet als ländliche Bereiche. Auch bestimmte Durchführungsarten, wie etwa Vergiftung mit Haushaltsgas, Sprung aus der Höhe oder Überfahrungen, konzentrieren sich in den Städten. In ländlichen Gebieten dominiert vor allem das Erhängen. Die 14 DDR-Bezirke und Berlin sind über Jahrzehnte hinweg mit relativ gleichbleibenden Zahlen belastet, wobei sich etwa 30 Prozent der Selbstmorde im Frühjahr und Herbst ereignen und die verbleibenden 70 Prozent über das Jahr verteilen. Die meisten Selbstmorde werden am Wochenanfang und in der Wochenmitte, am Tage sowie in den eigenen vier Wänden verübt.
Strafrechtlich gesehen war der Suzid – analog zur Rechtslage in anderen Industrieländern – auch in der DDR ein irrelevantes Geschehen, was allerdings voraussetzt, daß kein anderes gesetzlich geschütztes Objekt verletzt wurde. Insofern war grundsätzlich weder der versuchte Suizid noch die Anstiftung oder Beihilfe zum Suizid strafbar.
Dennoch besteht kriminalistisches Interesse an dieser nicht natürlichen Todesart. Denn: vollendete Suizide können als Unfall, aber auch als Mord oder natürlicher Tod verschleiert worden sein und berühren so durchaus auch rechtliche Fragen (z. B. Versicherungsrecht). Noch viel wichtigere Gründe für die Notwendigkeit kriminalistischer Untersuchung ergeben sich allerdings aus dem Umstand, daß in der DDR mehr als 40 Prozent der Mord- und Totschlagsdelikte als Suizide (aber auch als Unfälle) kaschiert wurden – eine Aussage, die in etwa auch für andere Länder zutrifft.
Das Ziel der kriminalistischen Untersuchung von Suiziden (und tödlichen Unfällen) besteht, wie überall in der Welt, im Ausschluß oder Nachweis eines Verbrechens.
Dieses kriminologische Faktum hatte auch in der DDR wichtige rechtliche Vorschriften zur Folge: Zum einen regelte die in der Vergangenheit mehrfach novellierte Anordnung über die ärztliche Leichenschau (letzte Fassung GBl. der DDR Teil II Nr. 129 vom 2. Dezember 1978) die ärztlichen Handlungspflichten bei der Leichenschau und -öffnung in vorbildlicher Weise.
Zum anderen definierte der § 94 der DDR-Strafprozeßordnung den sog. Tod unter verdächtigen Umständen als
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