Ekel / Leichensache Kollbeck
Reformeiferer betreten nun das öffentliche Podium. Doch ziemlich hilflos pendeln ihre Meinungen zwischen Ignoranz und Verlangen von Härte.
Selbst den juristischen Fachleuten und den Erben Siegmund Freuds ist es nicht gelungen, eine einheitliche Auffassung, geschweige denn eine Strategie, zu entwickeln, deren Richtigkeit niemand bezweifelt. So hat die Gesellschaft das Übel zwar erkannt, doch findet sie kein Rezept, es an der Wurzel zu packen.
Eine Ursache für das schier unlösbare Problem ist eine definitorische: Immer wieder geistert der Begriff des sexuellen Triebtäters durch die juristische und journalistische Landschaft und führt zu dem weit verbreiteten Irrtum, daß diesem Tätertyp ein extremer Sexualtrieb zugrunde liegen würde. Die Realität jedoch beweist – auch im Fall Steinitz – daß das Sexualempfinden in seiner Entartung nämlich eher verkümmert ist. Man muß nur darüber nachdenken, unter welchen absurden Bedingungen diesem Tätertyp eine Erektion bzw. Ejakulation überhaupt erst möglich wird. Dann wird auch klar, daß die Handlungsantriebe offensichtlich auf anderen Primärursachen als im übersteigerten Sexualtrieb beruhen. Die kriminologischen und psychologischen Erfahrungen haben längst gezeigt, daß der unwiderstehliche Drang zum Quälen und Töten vordergründig ein Bedürfnis nach Wohlempfinden und Dominanz befriedigen soll und erst sekundär auf eine sexuelle Entspannung ausgerichtet ist. Es ist ein Trieb anderer Art als ein rein sexueller. So tötete beispielsweise der vielfache Frauenmörder Bruno Lüdke (1924 bis 1943) nicht vordergründig zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs. Er war von Natur aus impotent und kaum zu einer Erektion fähig.
Daß auch eine sexuelle Entspannung angestrebt wird, darf daher nicht zu einer einseitigen Reduzierung auf den Sexualtrieb führen, wie es in vielen psychiatrischen Gutachten geschieht. Die Lust an Unterwerfung, Demütigung und Gewalt bliebe auch dann bestehen, wenn die Funktion des Sexualapparates außer Kraft gesetzt würde.
Nur so ist es zu verstehen, daß die immer lauter werdende Forderung, durch chemische Kastration die eigentliche Ursache, nämlich den Drang zur Ausübung von Herrschaft und Gewalt auslöschen zu wollen, nur klägliches Unverständnis beweist.
Eine bereits seit dem Jahre 1969 bestehende und auch genutzte Möglichkeit der freiwilligen Kastration hat diese schwere Kriminalitätserscheinung keineswegs spürbar zurückdrängen können. Auch eine Zwangskastration kann nicht die Lösung sein, abgesehen von den erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese zweifelhafte Maßnahme, die Wiederholungsgefahr damit bannen zu wollen.
So scheint es nur einen Weg zu geben: Die Senkung der Rückfallquote und die Wiedereingliederung des Serienmörders in die Gesellschaft (auch in die seiner Mitgefangenen) erfordert, in Analogie zu bestimmten Erscheinungsformen der Sexualdelinquenz, strenge und ständig begleitende sozialtherapeutische Maßnahmen. Triebtäter – wie Mirko Steinitz – sind von einer besonderen Form der Sucht beherrscht. Eine Therapie kann sie nur zeitweilig „clean“ machen. Ein Leben lang wird dieser Trieb in ihrer Seele glimmen und solange ist Kontrolle und therapeutischer Einfluß vonnöten, um ihn nicht wieder zu einer vernichtenden Flamme auflodern zu lassen.
Das heutige sozialtherapeutische Instrumentarium in unserem Lande dürfte diese Aufgabe kaum erfüllen können. Die politischen Eiferer sollten sich für seinen Ausbau einsetzen. Nur er wäre die effiziente Maßnahme zur Minimalisierung der Rückfallquote. Die effektvolle politische Forderung nach Zwangskastration trifft nur auf den Beifall der Allgemeinheit. Das eigentliche Ziel jedoch wird verfehlt.
Hans Girod
Leichensache Kollbeck
und andere Selbstmordfälle
aus der DDR
Suizid im Sozialismus
Vergeblich wird man in statistischen Jahrbüchern oder in den Medien der DDR, ja selbst in kriminologischen Fachpublikationen nach Angaben über die Selbstmordsituation im Land der Arbeiter und Bauern suchen. Allenfalls lassen sich in kriminalistisch, medizinisch oder psychotherapeutisch orientierten Fachzeitschriften kasuistische Beiträge finden. Doch beschränken sich deren, ohnehin meist relativierte, spärliche statistische Mitteilungen auf nur eng begrenzte Themenkreise.
Die Gründe dafür sind mehrschichtig: In den Anfangsjahren der DDR hielt sich rigide die offizielle Auffassung, daß Selbsttötungen vordergründig ein Kennzeichen für
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