Ekel / Leichensache Kollbeck
bedeutungsvolles Protokoll muß getippt werden. Es soll den Schlußstrich unter einen Vorgang setzen, der ihn, sein Team, und überhaupt die gesamte Volkspolizei zwischen Erfurt und Suhl seit Anfang November letzten Jahres auf ständigen Trab gehalten hat.
Er gestattet sich noch einen tiefen Zug aus der Zigarette, dann prasseln seine flinken Finger über die Tasten des antiquierten Schreibgeräts:
„Gemäß § 141 Abs. 1 Ziffer 3 StPO wird das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten, den 28jährigen Invalidenrentner Dieter Fredersdorf, wegen vorsätzlicher Tötung seiner Bekannten, der 30jährigen Invalidenrentnerin Martina Baerwaldt, beendet, da mit seinem Selbstmord die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung in Wegfall geraten sind.“
Er zieht das Papier aus der Maschine, wirft einen letzten, kontrollierenden Blick über die Zeilen und unterschreibt das Protokoll. Dann geht der Hauptmann zu einem Aktenschrank, entnimmt ihm eine ganze Batterie prall gefüllter, fortlaufend numerierter Ordner mit dem Aktenzeichen 131/14/71 und stapelt sie auf seinen Schreibtisch. Das gewichtige Protokoll landet in dem Ordner mit der höchsten Ziffer. Er verschnürt den Stapel zu einem festen Paket, als soll das Ganze zur Altpapiersammelstelle. In Wahrheit aber wird es bald im Archiv verschwinden. Und das für ewig.
Es sind die Akten über einen Vorfall, der zwar strafprozeßrechtlich ohne Beanstandung abgeschlossen werden konnte, jedoch wichtige Fragen offen ließ.
Knapp geschildert ging es dabei um eine junge, querschnittsgelähmte Frau im Rollstuhl und ihren gehbehinderten Freund. Sie bewohnten für einige Tage ein Erfurter Hotel. Eines Morgens fuhren sie nach Arnstadt und ließen sich von dort mit einem Taxi nach Oberhof kutschieren. Am Abend des gleichen Tages kehrte der junge Mann ohne seine Begleiterin ins Hotel zurück. Die pfiffigen Hotelangestellten mutmaßten folgerichtig, daß da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, denn die junge Frau im Rollstuhl war nicht in der Lage, sich allein in den Thüringer Bergen fortzubewegen. Wo also war sie geblieben? Der junge Mann indes legte sich schlafen und verließ am nächsten Morgen das gastliche Haus. Seitdem blieb auch er verschwunden. Drei Tage später – das gemietete Zimmer blieb unbewohnt und unbezahlt – erstattete das Hotel Anzeige bei der VP. Vielleicht war man einem Betrügerpärchen aufgesessen. Eine Fahndung nach den beiden wurde ausgelöst, ein Ermittlungsverfahren gegen den jungen Mann eingeleitet. Doch die Spur verlor sich.
Nun wurden die verschiedensten Versionen aufgestellt. Sie pendelten zwischen dem Verdacht eines „ungesetzlichen Grenzübertritts“ und eines Verbrechens an der jungen Frau im Rollstuhl. Auch die Möglichkeit eines Unfalls in den Thüringer Bergen wurde in Betracht gezogen. Eine großangelegte Suche der Polizei blieb ohne Erfolg.
Überraschend präsentierte die Mutter des verschwundenen jungen Mannes der Polizei ein merkwürdiges, verschlossenes Briefkuvert mit der Aufschrift: „An die Genossen des sowjetischen Geheimdienstes!!!“ Es wurde dem letzten Brief beigefügt, den der Sohn schrieb. Darin bittet er, im Falle seines Ablebens das geheimnisvolle Kuvert weiterzuleiten. Zweifelsfrei war es die Handschrift ihres Sohnes. Doch in dem Kuvert steckte nur ein unbeschriebenes Blatt Papier.
Weitere Suchaktionen fanden statt. Hubschrauber überflogen die Thüringer Urlaubslandschaft, bergkundige Retter erklommen die Oberhofer Höhen. Vergeblich, von den Vermißten keine Spur. Die polizeilichen Aktivitäten blieben der Öffentlichkeit nicht verborgen, weckten ihre Neugierde. Es dauerte auch nur wenige Tage, bis die Emotionen in der Bevölkerung so hohe Wellen schlugen, daß die Bezirkspresse zur Besonnenheit mahnte. In der Gerüchteküche brodelte es unaufhörlich. Unzählige Vermutungen, unsinnige Spekulationen machten die Runde.
Dann endlich: Nach Wochen vergeblicher Suche wurden die beiden im unwegsamen Oberhofer Berggelände, nur wenige Meter voneinander entfernt, erhängt aufgefunden. Die Polizei ermittelte, daß die junge Frau durch die Hand des Freundes zu Tode kam. Sie fand auch heraus, daß dieser sich selbst getötet hatte. So wurden die Ermittlungen bald eingestellt, wie es das Gesetz verlangt.
Die näheren Umstände des Todes konnten nie aufgeklärt werden. Unklar blieb, warum der junge Mann seine Freundin tötete, den Tatort verließ, um am nächsten Tag dorthin zurückzukehren und sich zu erhängen. Wollten
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