Ekel / Leichensache Kollbeck
sogenannte Leichentoilette möglich, einem Verfahren, die Lebensähnlichkeit durch kosmetische Korrekturen und plastische Veränderungen wieder herzustellen. Moderne Methoden beziehen sich auf elektronische, computergestützte Bildherstellung
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Doch auch auf dem indirekten Wege, über die sog. Sachidentifizierung, ist eine zuverlässige Personenzuordnung möglich. Denn: Bekleidung, Konfektionsgröße, Stoffmuster, Schnittformen, Monogramme, Schmuck, Reparaturzeichen an Uhren und Brillen u. v. a. können sehr viele spezielle Merkmale aufweisen und in ihrer Kombination so einzigartig sein, daß auf diesem Wege eine Individualidentifizierung erfolgen kann, ohne eine Konfrontation mit dem Leichnam vornehmen zu müssen
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Führt das Ergebnis der gerichtsärztlichen Befunderhebung und der polizeilichen Ermittlung zur Feststellung, daß ein natürlicher Tod vorliegt, ist mit der Identifizierung, d. h. der Personenfeststellung, die kriminalistische Tätigkeit in dieser Sache beendet. Die Untersuchungen werden abgeschlossen. Liegt der Verdacht einer Selbsttötung oder eines tödlichen Unfalls vor, sind die Untersuchungen auf die Ursachen und Beweggründe zu erweitern
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Kann ein Tötungsdelikt begründet werden, sind Täterermittlung und Identifizierung des unbekannten Opfers zwei unabhängige, sich jedoch in starkem Maße beeinflussende, kriminalistische Maßnahmen. Die Untersuchungen liegen dann in der Verantwortung der Mordkommissionen
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Mitunter ist die Identifizierung unbekannter Toter eine sehr komplizierte Aufgabe. Das ist besonders bei einer Vielzahl von Toten und hohem Zerstörungsgrad der Leichen der Fall, z. B. nach folgenschweren Naturereignissen, Massenunfällen, Flugzeugabstürzen und Eisenbahnkatastrophen. In der Regel wird dann eine zentral geleitete Kommission tätig (Regierungs-, Katastrophenkommission), die sich aus unterschiedlichen Spezialisten zusammensetzt (medizinischer Rettungsdienst, Such- und Bergungskommandos, Kriminalisten, Gerichtsärzte, technische Kräfte u. a.)
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Die in der DDR geltenden rechtlichen Regelungen, wissenschaftlichen Erkenntnismethoden und polizeilichen Untersuchungsprinzipien der Identifikation entsprachen durchaus einem modernen internationalen Standard
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An den folgenden Tagen analysiert Unterleutnant Jenning die in Frage kommenden Vermißtenmeldungen aus dem Kreisgebiet von Grevesmühlen. Nirgends wird eine Frau gesucht, auf die die Merkmale der Toten von Groß Schwansee zutreffen. Am 10. Juni meldet er den Sachstand an die BdVP Rostock, damit die Überprüfung auf den ganzen Bezirk ausgedehnt werden kann. Auch dort verlaufen die Recherchen der nächsten Tage ergebnislos: Im Bezirk Rostock gibt es aus den letzten Monaten keine passende Vermißtenmeldung. Wahrscheinlich ist die Unbekannte doch keine DDR-Bürgerin, stammt vielmehr aus dem Lübecker Raum, zumindest könnte sie dort ins Wasser geraten sein. Dies zu prüfen, ist unter den herrschenden politischen Bedingungen keine einfache Angelegenheit. Das zuständige, gewissermaßen benachbarte Landeskriminalpolizeiamt Kiel liegt von Grevesmühlen eigentlich nur eine reichliche Autostunde entfernt. Doch beide Städte trennt seit einigen Monaten eine schier unüberwindliche Bastion, die nicht nur ein ganzes Land, sondern auch die Welt trennt – es ist die zu Beton erstarrte Entschlossenheit der Berufsrevolutionäre, die angeblich den kalten Kriegern Westdeutschlands Einhalt gebieten, in Wirklichkeit aber den Exodus der DDR-Bevölkerung aufhalten soll.
Jenning könnte nun ein Fernschreiben gen Kiel absetzen oder, einfacher, den Telefonhörer abheben, eine Nummer wählen und sagen: „Guten Tag, Herr Kollege, wir haben auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik eine Tote gefunden, die nicht hierher gehört …!“ Aber das wäre politisch ein so unverzeihlicher Vorgang, daß er befürchten müßte, jede Woche mindestens zweimal standrechtlich erschossen zu werden. Deshalb ist der Dienstweg einzuhalten.
Jenning begründet die Version von der unbekannten Toten aus Westdeutschland in einem ausführlichen Schreiben an seinen höchsten Vorgesetzten im VPKA und übergibt ihm das Duplikat der Akte. Der wiederum verfaßt auf Papier mit amtlichem Briefkopf ein Schriftstück mit gleichem Text und sendet es zusammen mit der Akte an die Leitung der Kriminalpolizei der Bezirksbehörde Rostock. Dort wird alles geprüft, das Anschreiben mit neuem Briefkopf versehen, und die Akte an die Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei in
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