Ekel / Leichensache Kollbeck
bedeckt, erschwert die Spurensuche. Schließlich kommen sie zu dem Schluß: Auf dem feuchten Asphalt sind keine Bremsspuren zu finden. Das Fahrzeug muß demnach mit vollem Tempo gegen das Betonhindernis gerast sein. Sie befragen die aus der Umgebung Herbeigeeilten nach ihren Wahrnehmungen. Doch es sind nur sogenannte Knallzeugen. Denn: Erst der dumpfe Aufprall des Wagens hat ihre Aufmerksamkeit geweckt. Sie können nun zwar das Resultat des Crashs bekunden, nicht aber seinen Ablauf.
Wenig später erscheint der Verkehrsstaatsanwalt. Da nur ein Toter zu beklagen ist und die Polizisten bereits eine erste, plausible Erklärung für den Hergang der Kollision parat haben, entscheidet er, die Weiterbearbeitung der VUB und nicht der Kriminalpolizei zu übertragen: Offensichtlich hat der Fahrer wegen zu hoher Geschwindigkeit die Gewalt über seinen Wagen verloren und ist deshalb gegen die aufgeschichteten Betonschwellen geprallt.
Bei der Kfz-Zulassungsstelle im Polizeipräsidium ist zu erfahren, daß das Fahrzeug auf den 42jährigen Ingenieurökonom Alexander Lausnitz aus Berlin-Blankenburg zugelassen ist. Auch die Gerichtsärzte finden später bei der Obduktion in der Gesäßtasche des Toten die angekohlten Fahrzeugpapiere auf den gleichen Namen. Schwere innere Verletzungen, Rippenserienfrakturen, die Ruptur der Leber und die Aspiration des tödlichen Kohlenmonoxids haben den Tod des Mannes verursacht. Der vage Verdacht, er könne unter Alkoholeinfluß gefahren sein, bestätigt sich nach der Blutuntersuchung nicht.
Alexander Lausnitz, der als stellvertretender Leiter eines großen HO-Zentrallagers für Industriewaren tätig war, hinterläßt eine Frau und drei Kinder. Tieferschüttert nimmt Frau Lausnitz die schreckliche Nachricht vom Unfalltod des Gatten und Vaters zur Kenntnis. Von nun an muß sich die Witwe als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern durchs Leben schlagen.
Einige Tage später schließt der zuständige Sachbearbeiter der VK die Akte Lausnitz mit dem Ergebnis „Tod durch selbstverschuldeten VU“ und übergibt Frau Lausnitz ein Schreiben, das sie der Staatlichen Versicherung vorlegen muß. Ihr Gatte hatte nämlich vor Jahren eine Lebensversicherung über 15 000,- Mark abgeschlossen. Sie garantiert den Hinterbliebenen bei einem unfallbedingten Tod die Auszahlung von 30 000,- Mark: Ein finanzielles Trostpflaster für die Familie, das wenigstens den schweren Neuanfang erleichtert, wenn freilich der Verlust des Vaters dadurch nicht ersetzt werden kann. Die Staatliche Versicherung reagiert prompt und unbürokratisch.
Als Frau Lausnitz geraume Zeit später die persönlichen Papiere ihres Mannes durchsieht, fällt ihr ein von ihm verfaßtes, handgeschriebenes Schriftstück in die Hände, das er dem Datum nach noch am Vorabend seines Todes geschrieben haben muß: „Meine liebe Katja! Wenn Du diese Zeilen liest, werde ich nicht mehr leben. Die Dinge im Betrieb sind mir über den Kopf gewachsen, vor allem wegen der krummen Geschäfte des Kollegen Willuda. Ich fühle mich mitverantwortlich, weil ich geschwiegen habe. Deshalb will ich nicht mehr. Laß Dir die Lebensversicherung auszahlen, vernichte aber vorher dieses Schreiben. Ich liebe Euch! Alex“
Frau Lausnitz fährt der Schreck in die Glieder: Also kein Unfall! Selbstmord war es. Folgerichtig kommt sie zu dem Schluß, daß er absichtlich gegen die Betonschwellen gefahren ist.
Sie weiß, daß vor zwei Wochen der Leiter des Fuhrparks im Betrieb ihres Mannes, Ernst Willuda, von der Polizei verhaftet wurde. Er war ein Meister der Beschaffung und Organisation. Das Aufspüren von Dingen in der Welt des chronischen Versorgungsmangels, über die der offizielle Handel nur selten verfügte, beherrschte er mit Virtuosität. Überall hatte er seine Finger drin, vor allem bei der Besorgung von begehrten Kfz-Ersatzteilen. So war er unentbehrlich, für den Betrieb und für die Kollegen.
Und sein Chef, Alexander Lausnitz, dessen Auto er natürlich auf Betriebskosten, hegte, pflegte und reparierte, war dafür bei der Bewilligung der Zahlungsanweisungen, die Willuda ihm vorlegte, besonders großzügig. So schaffte der clevere Fuhrparkleiter für den Betrieb die vermeintlichen Schnäppchen heran, manchmal auch für die Kollegen, vor allem aber für sich selbst. Und die HO zahlte, weil Alexander Lausnitz mit seinem guten Ruf und seiner Unterschrift für die Lauterkeit des Geldflusses bürgte. Nun ist gewiß: Die Mitschuld an den dunklen Geschäften Willudas muß ihn so
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