Ekel / Leichensache Kollbeck
belastet haben, daß er die Selbsttötung den disziplinarischen, womöglich rechtlichen Unannehmlichkeiten und der Gefährdung seiner bisherigen bürgerlichen Existenz vorzog.
Skrupel überfallen Frau Lausnitz, quälen sie mit unruhigem Schlaf. Schließlich geht sie wieder zur Polizei. Sie legt das Schriftstück ihres Mannes dem seinerzeit zuständigen Verkehrsunfallsachbearbeiter der VK vor. Der blickt sie erstaunt an wie ein neu entdecktes Weltwunder und meint, der Vorgang sei doch längst abgeschlossen. Frau Lausnitz versteht den Wink. Doch sie will ehrlich bleiben und übergibt dem Polizisten das Schreiben. Jetzt ist ihr Gewissen beruhigt.
Das nimmt Vater Staat lobend zur Kenntnis: Er fordert kurzerhand die Hälfte der bereits ausgezahlten Lebensversicherung zurück.
Fall 2:
Im Morgengrauen des 2. September 1983. Landwirt Wilhelm Schäfer tuckert mit seinem Traktor über eine der Landstraßen zwischen den uckermärkischen Ortschaften Woldegk und Friedland. Geräuschvoll scheppern die Milchkannen auf dem Anhänger bei der Fahrt über die schlaglochreiche Piste. Sonst ist kein Verkehr weit und breit. Der Weg führt an dem langen, hellgrünen Zaun vorbei, hinter dem in riesigen Stallanlagen Tausende Schweine ihr kurzes Leben fristen. Das Ganze strahlt den aufdringlichen Charme einer Russenkaserne aus. Ein Stück weiter säumt dichtes meterhohes Buschwerk die Landstraße. Dahinter liegen die ausgedehnten Felder der LPG. Plötzlich erschrickt er, traut seinen Augen nicht: Mitten auf der Straße liegt bäuchlings ein Mann, die Arme leicht angewinkelt, den Kopf zur Seite geneigt. ohne jede Regung. Das Gesicht kann Wilhelm Schäfer nicht sehen. Doch das graumelierte Haar des Hinterkopfes fällt ihm sofort auf. Dem Anschein nach könnte der Mann im gleichen Alter wie er selbst sein.
„Der olle Döskopp ist wohl total betütert“, ist sein erster Gedanke. Aber die durchdringende Hupe des Traktors vermag offenbar den Mann nicht zu wecken. Wilhelm Schäfer hält den Traktor an. Als er sich dem Liegenden nähert, durchfährt ihn ein Schauder: Eine blutende Halswunde fällt ihm auf. Sie verheißt nichts Gutes. Er dreht den Mann auf den Rücken, bemerkt, daß dessen Glieder steif sind. Nun kann er das Gesicht des Mannes sehen, dessen gebrochene Augen ins Leere zu starren scheinen. Wilhelm Schäfer ist augenblicklich klar – der ist mausetot. Und beim näheren Hinsehen erkennt er ihn sogar. Der Mann ist Edgar Seidel, ein Melker aus dem Nachbardorf. Wilhelm Schäfer entgeht nicht die zentimetergroße, fast kreisrunde blutende Wunde an der linken Halsvorderseite des leblosen Mannes, dicht über dem Kehlkopf.
Hilflos schaut er sich um, läuft einige Schritte ziellos hin und her, als suche er einen rettenden Engel, der ihn aus dieser mißlichen Lage befreit. Doch alles ist ruhig. Schließlich faßt er sich ein Herz, zieht den Mann von der Straße und legt ihn behutsam im Gras ab. Er löst den Anhänger aus der Kupplung und knattert mit dem Traktor, so schnell es eben geht, zurück in sein Dorf. Er weiß, wo der ABV wohnt: Der ist die Polizei, der hat ein Telefon, der weiß, was nun geschehen muß.
Bald wird es lebhaft auf der sonst einsamen Landstraße: Nicht nur der ABV, ein Arzt und Bauer Wilhelm Schäfer sind vor Ort, auch Neugierige sind inzwischen herbeigeeilt, um den Toten zu begaffen. Die meisten wissen, daß es der Melker Edgar Seidel ist.
Der Doktor nimmt die Leichenschau vor, schätzt, daß der Tod schon vor mehreren Stunden eingetreten ist. Auch er kennt den Mann. Er war einer seiner beharrlichsten Patienten. Chronischer Rückenschmerz und Alkoholmißbrauch waren seine Leiden.
Die Halswunde deutet er als Stich mit einem langen, rundlichen und spitzen Gegenstand, etwa einem großen Schraubendreher, einer Ahle oder einem Stichel. Der Tod könnte durch eine Hirnblutung oder Luftembolie verursacht worden sein, für ein Verbluten nach außen sind die Blutspuren zu gering. Der Doktor denkt zunächst an Mord, nimmt an, der Täter habe den Melker von hinten überfallen, mit dem linken Arm festgehalten und mit der rechten Hand in den Hals gestochen. Aber warum? Und wer sollte das getan haben?
Einen Raubüberfall schließt er aus. Der Tascheninhalt des Toten ist offenbar unberührt geblieben. Aber wo ist das Tatwerkzeug? Hat es der Täter mitgenommen oder gar weggeworfen? Auch den ABV beschäftigen diese Fragen. Und während der Arzt den Totenschein ausfüllt, sucht der Uniformierte mit einigen Freiwilligen die Gegend
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