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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
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zieht er mit seinem Handwagen durch die Gegend.
    Er spürt die altersschwachen Sofas und Kühlschränke am Waldrand auf, die wie von Geisterhand zu nächtlicher Stunde dort endgelagert werden. Er sucht im Schutt der Baustellen nach heilen Dachziegeln, Brettern, Schrauben, Nägeln und findet in mancher Mülltonne brauchbare Relikte des Überdrusses.
    Gegen Abend kehrt er mit der Beute heim. Manchmal wird er dann sogar von hilfesuchenden Nachbarn erwartet: „Max, kannst du den Rasenmäher in Ordnung bringen?“ Und Max bringt ihn in Ordnung. „Max, hast du eine Zylinderkopfdichtung für den Wartburg?“ Und Max hat sie. „Ich suche ein hölzernes Puppenhaus …“
    Ja, der alte Schedlow ist gefällig, wenn man versteht, ihn richtig zu nehmen. Wer etwas von ihm will, muß die Marotten des verschrobenen Einzelgängers übersehen. Und weil Gefälligkeit allein nicht satt macht, fordert er auch einen Obolus, und so bessert manche Extramark seine karge Rente auf.
    Max Schedlow war nie verheiratet, lebt seit vielen Jahren in seinem kleinen Häuschen, das inzwischen auch in die Jahre gekommen ist. Mitunter ist er mürrisch und mißtrauisch. Dann führt er stundenlange Selbstgespräche und verschanzt sich hinter den Krempelbergen, schweißt, hobelt, sägt oder montiert an seinen Fundstücken. Nähere Kontakte zu den Menschen im Ort pflegt er nicht. Er führt, bis auf die wenigen Gespräche mit seinen „Kunden“, ein Leben in Einsamkeit und Askese. Deshalb interessiert er sich auch nicht für das gesellschaftliche Leben des Ortes.
    Jedoch ganz selten, an manchen Feiertagen, rasiert er sich sogar. Dann kann es geschehen, daß er ein vergilbtes weißes Hemd überzieht, eine altmodische Krawatte umbindet und im Gasthof erscheint, um ein oder zwei Bierchen zu trinken. Die höhnischen Blicke hinter sich oder die kleinen direkten Spötteleien scheinen ihm offenbar nichts auszumachen.
    Ansonsten werden die Dorfbewohner von den eigenen Sorgen so in Anspruch genommen, daß sie sich nicht um seine Angelegenheiten kümmern. Bis auf den Donnerstagabend im September, als ein zufälliges Ereignis den dörflichen Frieden stört und allgemeine Bestürzung auslöst.
    Ein Mann aus der Nachbarschaft will Max Schedlow um eine Gefälligkeit bitten. Er steht zum wiederholten Male vergeblich am Gartenzaun. Der Ruf nach Max bleibt ungehört. Auf dem Grundstück ist alles ruhig. Nur die Katzen schleichen jammernd um ihre leeren Futternäpfe. Besorgt fragt der Mann in der Nachbarschaft nach. Tatsächlich, niemand hat in den letzten Tagen Max Schedlow gesehen. Auffällig ist auch, daß sein Handwagen unberührt neben dem Hauseingang steht.
    Vielleicht ist Max krank und benötigt Hilfe. Grund genug, dort nachzusehen. Zwei beherzte Nachbarn schwingen sich über den Gartenzaun, arbeiten sich durch hüfthohe Brennesseln und die Ergebnisse des jahrelangen Sammeldrangs. Die Haustür ist verschlossen. Sie gehen hinters Haus, bemerken das weit geöffnete Küchenfenster. Der Fenstersims ist nicht einmal mannshoch, erlaubt, ohne Mühe in das Innere des Raumes zu sehen. Doch schon beim ersten Blick stockt ihnen der Atem: Randvolle Mülleimer, ungeordnet aufgehäufte Bekleidung, Geschirr, das seit Monaten auf den Abwasch wartet, Töpfe mit Speiseresten, die bis zur Unkenntlichkeit eingetrocknet oder verschimmelt sind. Unrat über Unrat. Die Küche ist völlig verwahrlost. Vermutlich sehen die anderen Räume des Hauses auch nicht anders aus. Ein penetranter kotig-käsiger Gestank verbreitet sich. Hunderte von metallischgrünen Schmeißfliegen schwirren umher. Nur mit lebhafter Phantasie ist der eigentliche Bestimmungszweck der Küche auszumachen.
    Wenige Schritte vom Fenster entfernt liegt der alte Max Schedlow leblos auf dem abgewetzten Linoleum, nur mit Trainingshose und Unterhemd bekleidet, zeigt deutliche Anzeichen von Verwesung. Den Körper seitwärts geneigt, halb unter dem Küchentisch liegend, ist sein Gesicht der Tür zugewandt. Dies zu erkennen, ist den Männern von draußen nicht möglich. Und das ist gut so. Denn auf diese Weise entgeht ihnen ein schauriger Anblick. In den Winkeln der aufgerissenen, glanzlosen Augen, an den Nasenflügeln und den Lippen des spaltweit geöffneten Mundes bilden unzählige Fliegeneier und bereits geschlüpfte Maden einen dicken gelblichweißen, pulsierenden Teppich.
    Aber etwas erkennen die Männer: In der Mitte der Brust des alten Mannes, eine Handlänge unterm Kehlkopf, steckt ein Fahrtenmesser, von dem nur noch der

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