Ekel / Leichensache Kollbeck
Wandzeitung, steckt sauber ausgeschnittene Buchstaben und ein Foto des jugendlichen Helden Erich Honecker an das rote Tuch: „Dem Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzenden des Staatsrates herzliche Glückwünsche zum 60. Geburtstag!“
Am Haupteingang klingelt es. Der Uniformierte geht zur Tür, blinzelt durch den Spion, öffnet eine Sprechklappe. Draußen steht ein sichtlich erregter, etwa zwanzig Jahre alter, schmächtiger Mann, ein blonder Krauskopf mit blassem Gesicht.
„Ja bitte, Sie wünschen?“
„Ich …, ich habe …“, stammelt dieser, „auf dem Friedhof Heinrich-Heine-Straße zwischen den Büschen eine Leiche gefunden.“
Die Luke schließt sich. Schwere Schlösser schnappen, ein Scherengitter wird zur Seite geschoben. Der Wachtmeister gibt den Eingang frei.
„Kommen Sie herein. Ihren Personalausweis bitte!“
Verstört fingert der Krauskopf das blaue Dokument aus seiner Gesäßtasche.
„Nehmen Sie Platz, es kommt gleich jemand!“
Der Mann plaziert sich artig im Warteraum, während der Uniformierte telefoniert:
„Hauswache, Hauptwachtmeister Schlegel. Genosse Leutnant, hier ist der Bürger …“, er macht eine kleine Pause und blättert in dem Personalausweis, „… Treese, Bernd, wohnhaft in Hagenow. Er meldet den Fund einer Leiche auf dem Friedhof Heinrich-Heine-Straße!“
Irgend etwas muß der Angerufene erwidert haben, denn der Uniformierte wendet sich an den Besucher: „Kommt gleich jemand von der K!“
Wenig später sitzt der 20jährige Zerspanungsfacharbeiter im Zimmer des Kriminaldienstes. Leutnant der K Ihlander, ein untersetzter Endfünfziger mit schütterem Haar, beruhigt seinen erregten Gast: „Nun erzählen Sie mir mal alles ganz von vorn!“
Bernd Treese nickt, schluckt trocken. „Also, ich bin zur Zeit krankgeschrieben, habe mir an einer Maschine den Finger gequetscht.“ Er weist auf seine fachkundig verbundene Hand. Der Mull ist nicht mehr ganz frisch. „Deshalb habe ich mehr Zeit für den Jugendklub …“
Dann schildert er, daß er dem ehrenamtlichen FDJ-Klubrat angehört, als dessen stellvertretender Vorsitzender sei er für die Realisierung des Kulturplans verantwortlich. Am Nachmittag wollte er im Klub sein. Um den Weg dorthin abzukürzen, sei er über den Friedhof gegangen.
Hinter dem Haupttor, rechts neben der ersten Grabreihe sei ihm etwas Buntes entgegengeschimmert, als habe sich dort jemand alter Textilien entledigt. Er sei näher getreten und habe eine nackte Frau liegen sehen. Mit großer Bestürzung habe er sich zu ihr heruntergebeugt, um ihr zu helfen. Er habe ihren Puls gefühlt und gehört, ob sie noch atme, dann aber festgestellt, daß sie offensichtlich tot sei.
Ihlander, der aufmerksam zuhört, unterbricht ihn: „Einen Moment, ich bin gleich zurück!“
Im Nebenzimmer führt er mehrere Telefongespräche. Wortfetzen dringen bis zu Bernd Treese. Er reimt sich zusammen, was der Kriminalist beabsichtigt: Funkstreifenwagen zum Ereignisort, Verständigung der Schnellen Medizinischen Hilfe und des Bereitschaftsdienstes der Morduntersuchungskommission in Schwerin.
Zurückgekehrt fragt Ihlander nach weiteren Details, macht Notizen. Dann schließt er das Gespräch ab: „Also, fahren wir hin, Sie zeigen mir die Stelle!“
Beim Verlassen des Zimmers rümpft er die Nase, schnuppert auffällig dicht vor der Nase seines Gastes herum: „Haben Sie getrunken?“
„Nur ein paar Bier, ehe ich zum Klub wollte.“
Über eine Hintertreppe erreichen die Männer den Hof mit den Einsatzfahrzeugen. Unterwegs bemerkt Bernd Treese wie beiläufig: „Ich habe auch ihre Schuhe angefaßt, die herumlagen. Ich meine nur, Sie finden dort Spuren von mir.“
„Ist schon gut“, beruhigt ihn Ihlander, „wir besprechen das an Ort und Stelle.“ Dann fragt er weiter: „Woher nehmen Sie denn die Gewißheit, daß die Frau tot ist?“
„Das sieht man doch, sie lag so verkrümmt da“, ist die zögerliche Antwort.
„Warum haben Sie keinen Arzt verständigt, sie könnte doch noch leben?“
„Nein, nein, sie ist tot, das hab ich gesehen!“
„War ihr Körper noch warm, als Sie den Puls gefühlt haben?“
„Weiß ich nicht!“
Ihlander läßt das Fragen, es führt im Moment nicht weiter.
Bernd Treese beginnt, eine Phantasiemelodie vor sich her zu summen. Das erscheint Ihlander nun doch fehl am Platze. Ein eigenartiger Kunde, dieser Auffindungszeuge, denkt er und schneidet den Singsang mit den Worten ab: „Sie müssen
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