Ekel / Leichensache Kollbeck
kann.“ Wenig später trabt Petershagen davon, in einer Hand drei Tatortfotos zum Trocknen in der Luft herumschwenkend.
Bernd Treese erwartet ihn schon ungeduldig. Der Hauptmann macht ihm deutlich, daß seine Aussage als förmliche Zeugenvernehmung protokolliert werden muß. Natürlich im VPKA.
Unterwegs quetscht Petershagen ihn ein wenig aus und erfährt, daß Treese verheiratet und Vater einer zweijährigen Tochter ist, daß ihm der Schichtdienst in der Hagenower Großbäckerei nicht gefällt und überhaupt die im Betrieb alle ziemlich doof sind. Er ist gesprächig und wirkt erstaunlich gut gelaunt. Petershagen provoziert ihn zu unverfänglichen Heiterkeiten, lenkt ihn bewußt vom Thema ab, streut nur gelegentlich einige Fragen zur Sache ein. Er will alles wissen, jedenfalls mehr, als ein Zeuge von sich preisgeben würde. Bald steht sein Eindruck fest: Wer aufschneidet, lügt. Wer lügt, verbirgt etwas. Noch bevor sie das Kreisamt erreichen, steht Petershagens Strategie fest: Aussagen auf Details konzentrieren, auf Widersprüche festlegen lassen, auch einmal geschickt die Frage nach dem eigenen Alibi stellen, aber keinen Verdacht gegen ihn äußern.
Dieser Zeuge weckt sein kriminalistisches Interesse, auch deshalb, weil sich Ihlanders Zweifel inzwischen auf ihn übertragen hat.
Doch zu Beginn der Vernehmung wird daraus Argwohn. Als nämlich Bernd Treese den genauen Ablauf des Vortages schildern soll, um vielleicht auf diese Weise auf andere Zeugen zu stoßen, fällt sein Bemühen auf, die Zeit nach 21 Uhr möglichst auszuklammern. Er ist unerfahren mit den Gepflogenheiten einer kriminalpolizeilichen Befragung, und deshalb besitzt er kein logisches Konzept für die eigene Rechtfertigung. Eine plausible Begründung, warum er den Friedhof überhaupt betreten hatte, kann er nicht geben. Petershagen erkennt dieses Manko, weiß indes, daß er die bisherige Bereitwilligkeit auszusagen, bremsen könnte, wenn er ihm jetzt plumpe Vorhalte an den Kopf schmettern würde.
Noch sind keine Beweise für eine Täterschaft vorhanden, und so gilt es, eine freundliche Atmosphäre zu schaffen und die bei Treese aufkommende Angstreaktion zu mildern. Mit einer härteren Gangart könnte er, wenn nötig, bis zum Eintreffen der ersten Ergebnisse der Spurenauswertung warten. Immerhin gelingt es ihm, Bernd Treese über seine vagen Vermutungen, die immer mehr zu einem Verdacht reifen, im Unklaren zu lassen. Verdutzt läßt dieser zu, daß Petershagen ihm mit der Sorgfalt antiseptischen Vorgehens eine Klemmzange mit einem gelben Staubtuch präsentiert. Mit der kurzen Bemerkung: „Sie haben sich ja am Tatort aufgehalten, jetzt brauchen wir Ihre Vergleichsspuren“ verschwindet das Tuch unter Treeses Achselhöhle.
„Klemmen Sie es mit dem Arm fest“, verlangt Petershagen. Widerspruchslos folgt Treese der Aufforderung.
Die nächsten anderthalb Stunden verlaufen entspannt. Petershagen hat Limonade für ihn herangeschafft und im Nebenzimmer ein paar Telefonate erledigt. Treese hat inzwischen das Protokoll durchgelesen und unterschrieben. Er findet alle seine Angaben wieder, und es beruhigt ihn, schwarz auf weiß bestätigt zu sehen, daß es sich um eine Zeugenvernehmung handelt. Seine innere Anspannung schwindet, als Petershagen ihn von dem geheimnisvollen Staubtuch befreit.
Eigentlich dürfte es nunmehr keinen Grund geben, von der Polizei weiter festgehalten zu werden. Doch es fehlt ihm der Mut, das auszusprechen.
Petershagen hat die rechtlichen Grenzen erreicht. Die Zeugenvernehmung ist abgeschlossen. Aber er entläßt Treese nicht. Vielmehr verwickelt er ihn in ein ablenkendes Gespräch über Gott und die Welt, das heißt eigentlich nur über die Welt, da kennt er sich besser aus. Er muß Zeit gewinnen.
Endlich, gegen 17 Uhr, schrillt das Telefon. Der Kriminaltechniker meldet sich aus dem Sektionssaal, gibt erste Ergebnisse durch. Doch die sind enttäuschend. Die noch andauernde Obduktion der Leiche bestätigt nur die bisherigen Feststellungen: Tod durch Erwürgen, gewaltsamer Sexualakt. Die Analyse des Mageninhalts, die feingeweblichen und toxikologisch-chemischen Routineuntersuchungen sind erst in den nächsten Tagen verfügbar.
Auch am Tatort keine direkten Hinweise auf den Täter. Die gesicherten Textilfasern, Haare und Bodenspuren können nur im Kriminaltechnischen Institut in Berlin untersucht werden. Das kann Wochen dauern.
Petershagen fordert einen odorologischen Differenzierungshund an und legt dessen Einsatz für 19 Uhr
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