Ekel / Leichensache Kollbeck
an der Dienststelle mitsingen darf.
Während sich Petershagen einen Überblick über den Tatort verschafft, untersucht der Gerichtsarzt behutsam den Leichnam der jungen Frau, bemüht, die unsichtbaren Spuren nicht zu vernichten. Ihm geht es zunächst um die Todeszeit. Alles andere, insbesondere die Sicherung von Mikrospuren am Körper der Toten, gehört in den Sektionssaal. Der Kriminaltechniker fotografiert jede Phase der Untersuchung.
„Die Todeszeit liegt zirka zwölf bis zwanzig Stunden zurück“, wendet sich der Gerichtsarzt an Petershagen, „das könnt Ihr den Ermittlungen vorerst zugrunde legen. Vielleicht ist die Zeit noch weiter einzugrenzen, das geht aber nur im Institut!“
„An dem zerrissenen Büstenhalter könnten Geruchsspuren vom Täter sein“, meint Petershagen. Der Kriminaltechniker hat für deren Sicherung einen besonderen Koffer parat, in dem sich mehrere Gläser befinden. Mit zwei etwa 25 cm langen Hakenzangen, wie sie eigentlich in der chirurgischen Praxis zum Abklemmen von Blutgefäßen Verwendung finden, entnimmt er den Gläsern gelbe Staubtücher, bedeckt mit ihnen den Büstenhalter, breitet ein Stück Aluminiumfolie darüber und beschwert das Ganze mit einigen faustgroßen Steinen, damit ein möglicher Luftzug das Ergebnis seiner Arbeit nicht zerstört. Wieder wird alles fotografiert.
Wenn der Täter bei der Überwältigung der Frau tatsächlich mit bloßen Händen ihren Büstenhalter vom Körper gerissen hat, müßte sich mit etwas Glück nach etwa einer halben Stunde sein Geruch auf die Staubtücher übertragen haben. Petershagen beobachtet die Prozedur. Dann berät er sich mit dem Gerichtsarzt. Jetzt weiß er, daß die unbekannte Frau etwa 14 bis 16 Jahre alt ist, ein Mädchen also, das keine Papiere bei sich trägt und in den späten Abendstunden des gestrigen Tages Opfer eines Notzuchtdelikts wurde. Der Gerichtsarzt sichert zu, im Sektionssaal Scheidenabstriche vorzunehmen, um die mögliche Samenflüssigkeit des Täters näher zu analysieren.
Kopf, Hände und Füße der Toten werden mit Plastiktüten überzogen, um sie im Institut vor der Sektion mittels eines Operationsmikroskops nach Haaren, Fasern und möglichen Hautpartikeln des Täters zu untersuchen. Dann wird der Leichnam behutsam auf eine große Plastikfolie gehoben und zum Abtransport vorbereitet.
Zwei Aufgaben erwarten Petershagen jetzt: Zum einen muß die Tote rasch identifiziert werden, zum anderen harrt der Auffindungszeuge vor der Tatortabsperrung auf seine Fragen. Mit der Bemerkung „Ich fahre ins VPKA und vernehme den Zeugen, mach du hier weiter“, verläßt er seinen Kriminaltechniker.
Doch bevor er mit Bernd Treese sprechen kann, trifft der Leiter der Spezialkommission der Bezirksverwaltung des MfS Schwerin ein.
Die Spezialkommission war eine in jedem DDR-Bezirk installierte, mittlere Struktureinheit der Hauptverwaltung Untersuchung des MfS. Sie befaßte sich mit solchen Straftaten, die Sicherheitsinteressen des Staates beeinträchtigen könnten und zählte demnach zu den im § 88 Strafprozeßordnung aufgeführten Ermittlungsorganen. Damit war sie offiziell den rechtlichen Kompetenzen der Kriminalpolizei gleichgestellt. Inoffiziell führte dies aber zu einer direkten Überwachung der kriminalpolizeilichen Arbeit, da sie jeden kriminalpolizeilich relevanten Sachverhalt nach eigenem Ermessen prüfte und fragte, ob staatliche Sicherheitsinteressen berührt würden. Daraus erklärt sich ihre permanente Präsenz bei kriminalpolizeilichen Maßnahmen. Das führte mitunter zu mißliebigen Konkurrenzen und Eifersüchteleien mit der Kriminalpolizei, vor allem, wenn es darum ging, wer schließlich die Aufklärungserfolge für sich verbuchen durfte.
Eine solche Spezialkommission verfügte über modernste kriminaltechnische Ausstattung, oft aus den Ländern des sogenannten Klassengegners, die die volkseigene Polizei entbehren mußte. Bemühte sich der Leiter einer MUK um einen freundlichen Kontakt zu seinem allmächtigen „großen Bruder“, dann konnte er durchaus eine gelegentliche Unterstützung mit technischer Ausrüstung oder wichtigen Informationen erwarten.
Petershagen grüßt den MfS-Mann kurz und prellt gleich vor: „Ist nichts für euch. Eine stinknormale Sexualtötung!“
„Können wir euch unterstützen?“ ist dessen Frage.
„Im Augenblick nicht!“ Petershagen stockt, korrigiert sich aber schnell: „Doch! Sei so gut und mach mir ein paar Polaroidaufnahmen, damit ich sie gleich mitnehmen
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