Ekel / Leichensache Kollbeck
niemand, in welchem Ausmaß die Sicherheitsorgane des Arbeiter- und Bauernstaates, allen voran das Ministerium für Staatssicherheit, zwei Jahrzehnte später sich der Speicherung des menschlichen Individualgeruchs bedienen würden.
Die Methode war eine vielversprechende Weiterentwicklung damaliger Möglichkeiten, bei denen man den ausgeprägten Geruchssinn des Hundes für kriminalistische Zwecke nutzte. Klassische Fährtenhunde, Stöbermeuten, Leichensuchhunde und eigens für das Auffinden von Gasquellen, Sprengmitteln, Narkotika, Munition usw. ausgebildete Spürhunde galten schon lange als zuverlässige Helfer der Polizei.
Es ist höchst beeindruckend, daß die Fähigkeit des Hundes, Gerüche wahrzunehmen und zu differenzieren, bis zum heutigen Tage allen labortechnischen Erkenntnismöglichkeiten überlegen geblieben ist.
Mit der Gerichtsodorologie wurde das Spektrum der Nutzung des Hundes in der Kriminalistik um einen wichtigen Bereich erweitert. Jetzt ging es nicht mehr lediglich um eine Differenzierung zwischen verschiedenen Personen nur an Hand ihres Geruchs, sondern vor allem darum, Geruchsspuren, die beim Berühren von Gegenständen oder Verweilen an fraglichen Orten hinterlassen wurden, zu individualisieren.
Mit geeigneten Absorptionsmitteln ließ sich dieser Geruch abnehmen, speichern und mit Geruchsproben von Personen vergleichen. Die Begeisterung über dieses Verfahren schlug hohe Wogen. Wenn man nämlich einem Verdächtigen allein nur durch den von ihm hinterlassenen Individualgeruch nachweisen konnte, daß er sich an einem bestimmten Ort aufgehalten oder einen bestimmten Gegenstand berührt hatte, ohne dabei herkömmliche Spuren, etwa Fingerabdrücke, zu verursachen, dann würden sich für die Kriminalistik ungeahnte Möglichkeiten ergeben.
Doch es war klar: Die Schnüffelresultate der auf diese Methode abgerichteten Hunde durften als Beweismittel im Strafverfahren nicht verwendet werden. Ihr Nutzen blieb auf die allgemeine Ermittlungshilfe beschränkt, bis andere, prozeßrechtlich zugelassene Beweise erlangt wurden.
Ursprünglich galt die Odorologie als Staatsgeheimnis. Doch ließ sich dieses wegen der auffälligen praktischen Beschaffung der Vergleichsspuren – für einige Minuten mußte der Betreffende Körperkontakt mit einem sterilen Tuch dulden – kaum lange wahren.
Interne Anweisungen der Kriminalpolizei regelten den Umgang mit Geruchsspuren und -konserven. So mußten die Asservate vernichtet werden, sobald die fragliche Straftat aufgeklärt war. Zumindest forderten das die Vorschriften.
Doch die Odorologie kam im Laufe der Zeit in Verruf, weil vor allem das Ministerium für Staatssicherheit ungeachtet der prozeßrechtlichen Begrenzung reichlichen Gebrauch von ihr machte. Riesige Archive von oft konspirativ erlangten Geruchskonserven mißliebiger Untertanen aus dem sogenannten Untergrund entstanden. Ethisch-moralische Skrupel blieben dabei weit hinter dem Präventivgedanken, nämlich vermeintlich konterrevolutionäre Kräfte vorsorglich zu überwachen.
Da eine Geruchskonserve aus einem mit Deckel und Deckelspange versehenen, industrieglasähnlichen Behälter bestand, in dem die auf einem sterilen Staubtuch aufgenommene Geruchsprobe gespeichert wurde, war mit der Zeit eine gewaltige Lagerkapazität notwendig geworden.
Bürgerrechtler, die in der Wendezeit der Jahre 1989/90 die Zwingburgen der Staatssicherheit eroberten, waren teils belustigt, teils angewidert, mit welch zynischer Sorgfalt man die massenhafte Speicherung von Gerüchen Andersdenkender betrieben hatte.
Die angestauten Aggressionen gegen die DDR-Obrigkeit und ihren Sicherheitsapparat entluden sich in der Zeit der großen historischen Veränderung und führten nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik dazu, die Odorologie aus der kriminalpolizeilichen Praxis zu verbannen und Diskussionen über eine Neubelebung des Verfahrens bereits im Keime zu ersticken.
Doch in den siebziger Jahren dachte niemand an den späteren Untergang eines solchen Verfahrens und noch viel weniger an den der DDR.
Sonntagsruhe in der Hauswache des Volkspolizeikreisamtes Hagenow, der Vierzehntausend-Seelen-Kleinstadt südwestlich von Schwerin. Es ist der Nachmittag des 15. August 1972. Die Dienststelle ist fast menschenleer. Nur in den Räumen des Operativen Diensthabenden und des Kriminaldienstes herrscht eine gewisse Betriebsamkeit. Ein Fernschreiber rattert, irgendwo dudelt ein Fernseher. Neben der Wachstube dekoriert ein Uniformierter eine
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