Ekel / Leichensache Kollbeck
heute noch Zeit für uns haben. Ihre Zeugenvernehmung, verstehen Sie, der Papierkram!“
Zeugenvernehmung? So recht scheint das Treese nicht zu behagen. Er gibt daher zu bedenken: „Meine Frau glaubt, ich bin im Klub. Sie ist mit dem Kind allein zu Hause.“
„Wir werden sie informieren, kein Problem“, räumt Ihlander die Besorgnis aus.
Auf dem Friedhof herrscht inzwischen das Bild einer polizeilichen Ereignisortsicherung: Die Besatzungen zweier Funkstreifenwagen haben weiträumig ein rot-weißes Plastikband, wie es neuerdings zur Begrenzung von Baustellen verwendet wird, gespannt. Der weiße Wagen der Schnellen Medizinischen Hilfe steht bereits auf dem Hauptweg. Ihlander fährt seinen Wagen bis dicht an die Begrenzung. Ein Wachmeister eilt auf ihn zu: „Genosse Leutnant, wir haben den Fundort gesichert. Ich zeige Ihnen, wo wir unsere Spuren hinterlassen haben!“
Ihlander fordert Treese auf, vor der Abgrenzung zu warten und gibt dem Schutzpolizisten einen Wink, auf ihn zu achten.
Die Angaben Treeses scheinen sich zu bestätigen. Hinter dem Gebüsch liegt eine leblose, fast nackte Frau. Der Arzt kauert einen reichlichen Meter entfernt von ihr und inspiziert sie, ohne sie zu berühren.
„Ich fasse sie nicht weiter an“, spricht er gleich, als Ihlander hinzutritt.
„Die Totenflecke sind deutlich sichtbar, die Starre ziemlich ausgeprägt. Mehr als den Tod will ich hier nicht feststellen. Zur Todeszeit kann ich nur wenig sagen. Sie liegt mindestens fünf bis sechs Stunden zurück. Verständigen Sie die Gerichtsmedizin. Die Frau ist offensichtlich erwürgt worden. Sexualtötung. Sehen Sie die typische Lustmordstellung!“
Aus sicherer Distanz erfaßt Ihlander die Situation: Die Frau liegt, den Kopf zum Gebüsch geneigt, auf dem Rücken, die Arme vom Körper gestreckt, nach oben angewinkelt. Ihre Beine sind weit gespreizt. Der Slip hängt schlaff und schmutzig über dem Knöchel des linken Fußes. Ein weißer Pulli, bis unter die Achselhöhlen hochgeschoben, umschlingt den Hals wie eine Krause, ohne die kratzerartigen Hautabschürfungen am Hals zu verdecken. Zu beiden Seiten des jugendlichen Körpers liegt ein zerrissener Büstenhalter, die Verschlußseite mit dem Rücken am Boden fixiert. Eine blaue Hot Pants bedeckt einige Meter weiter den Teil einer Grabtafel. – Ein gräßlicher Anblick. Ihlander nimmt dieses seltene Bild eines Gewaltaktes mehr gefühlsmäßig als polizeitaktisch und sachlich auf. Speiübel könnte ihm werden. Mit festem Willen, keine Spuren zu vernichten, unterdrückt er jede Regung seines Leibes. Es erleichtert ihn sehr, daß knapp zehn Minuten später die Mordkommission und ein Gerichtsarzt aus Schwerin eintreffen.
Chef der Kommission ist Hauptmann Petershagen, 39, ein hagerer, hochaufgeschossener Mann mit fahlem Gesicht und den eingefallenen Wangen eines chronisch Magenkranken. Er ist ein besonnener, in sich gekehrter mecklenburger Dickschädel, der sein Fach beherrscht. Ihlander schildert ihm die Anzeigenumstände und seinen ersten Eindruck von diesem etwas merkwürdigen Auffindungszeugen. Ehe er sich aber zum Kreisamt zurückbegibt, wendet er sich Bernd Treese zu, der artig an der Absperrung ausharrt: „Sie müssen sich gedulden, die Mordkommission will Ihnen noch einige Fragen stellen!“
Ruhig, sicher und vielfach erprobt wird nun der Tatort untersucht. Behutsam nähern sich Petershagen und der Gerichtsarzt der Leiche, Schritt für Schritt schweift ihr geschulter Blick auf dem Erdreich, dem Kiesweg und den Gräbern umher. Nichts darf ihnen entgehen. Ihnen folgt der Kriminaltechniker. Hier und da stellt er handgroße Täfelchen mit Ziffern auf, die sogenannten Spurentafeln, um dann mit der „Exa II“, der VP-eigenen Kleinbildkamera, jede Menge Tatort- und Spurenbilder aufzunehmen. Petershagen erwartet von ihm einen aussagekräftigen, illustrierten Tatortbefundsbericht. Dieser ist straff und eindrucksvoller als ein bildloses, langatmig formuliertes Protokoll. Abgesehen von kriminalistischen Erwägungen für seine Ent-scheidung erinnert sich Petershagen an die unzähligen orthographisch und stilistisch mißratenen Polizeiprotokolle, die ihn mal in Zorn, mal in Heiterkeit versetzen. Besonders genießt er es, wenn ihm ein solches Machwerk eines seiner Vorgesetzten in die Hände gerät, aus der Zeit als dieser an der Polizeibasis noch richtig malochen mußte, aber jetzt nach blendendem Studienabschluß an der Parteihochschule das Hohelied der marxistisch-leninistischen Erziehung
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