Ekel / Leichensache Kollbeck
Fäulnisgeruch breitet sich aus. Laut und deutlich diktiert Dr. Heinemann die Befunde. Zwischendurch erscheint für einige Minuten der Staatsanwalt. Er wirkt unausgeschlafen und angewidert von den Gerüchen im Sektionssaal.
Zu dem Seziertisch hält er repektvoll Abstand, verharrt einen Augenblick, wagt kaum zu atmen und bittet Korges schließlich nach draußen, um sich über den Sachverhalt informieren zu lassen. Sein kurzer Auftritt erfolgt mehr aus strafprozessualer Verpflichtung als aus kriminalistischen Erwägungen. Nun kann niemand behaupten, er habe als Herr der Ermittlungen nicht der gerichtlichen Sektion beigewohnt. Seine Teilnahme wird also im Sektionsprotokoll nachgewiesen sein, abgesehen davon, daß es rechtlich völlig ausreicht, Korges als seinen Beauftragten dort zu wissen.
Erst weit nach Mitternacht ist die Arbeit im Sektionssaal beendet. Literweise Kaffee war der einzige Trost der letzten Stunden. Rudi Korges verfügt nun über gute Ansätze für die nächsten Ermittlungen. Die Personenbeschreibung und die Utensilien aus der Handtasche des Mädchens, unter denen sich ein unbenutzter Busfahrschein befindet, der am 12. Oktober an einem Schalter des Busbahnhofs in Karl-Marx-Stadt gelöst wurde, bilden eine solide Basis für eine schnelle Identifizierung.
Auch der Anfangsverdacht eines Todes durch Erwürgen wird durch die Sektion bestätigt. Die Todeszeit ist zwar nicht weiter einzugrenzen, doch die Fahrkarte spricht dafür, daß der Tod nicht vor dem 12. Oktober eingetreten sein kann. Den Verletzungen nach muß das Mädchen mit seinem Mörder heftig gekämpft haben. Auch über das Motiv hat Korges jetzt sehr viel mehr Klarheit als vor einigen Stunden: zwar ist das Jungfernhäutchen des Opfers unverletzt geblieben, was beweist, daß kein Geschlechtsverkehr stattgefunden haben kann, doch sind die massiven Unterblutungen im Genitalbereich der Beweis für gewaltsame Manipulationen. Und an der Außenseite der Strumpfhose und des Rockes verraten Reste eines eingetrockneten Ejakulats eine untrüglich männliche Hinterlassenschaft. Das reicht Korges fürs erste.
Während der Sektionsgehilfe die Relikte der nächtlichen Aktivitäten aus dem Sektionssaal entfernt, finden sich Korges, der Kriminaltechniker und Dr. Heinemann im Arbeitszimmer von Dr. Amelung zusammen. Die Obduzenten teilen Korges mit, daß mit dem schriftlichen Gutachten erst nach den toxikologisch-chemischen Untersuchungen, frühestens in einer Woche, zu rechnen sei. Dann beraten die Männer, die massenhaften Faserspuren von der Bekleidung durch einen Experten des Kriminalistischen Instituts in Berlin untersuchen zu lassen, da in Karl-Marx-Stadt niemand über spezialisierte Erfahrungen in der Anwendung moderner Methoden der Faseruntersuchung verfügt. Hinsichtlich der Spermaspuren an der Strumpfhose ist zu bedenken, daß diese lediglich für eine Blutgruppenbestimmung geeignet wären, falls der Verursacher Blutgruppensubstanzen überhaupt ausscheidet. Zerstörerische Witterungseinflüsse haben die Spuren nahezu unbrauchbar gemacht.
Dr. Amelung hat unterdessen eine Flasche „Dujardin“ geöffnet und bietet den Männern ein Gläschen an: „Schließen wir unser Nachtwerk würdig ab!“
Der Kriminaltechniker mustert aus den Augenwinkeln neugierig das exotische Etikett der schlanken, braunen Flasche. Dr. Heinemann entgeht dies nicht, und er stichelt: „Macht Sie das unsicher? Immerhin ist es ein Produkt des Klassenfeindes.“
Dr. Amelung fällt ihm mit der gleichen Ironie ins Wort: „Das Präsent eines lieben Kollegen aus dem Westen. Die Staatsmacht wird doch wenigstens mal dran nippen dürfen, he?“
Korges fühlt sich angesprochen, blinzelt in die Runde, ergreift sein Glas, prostet den anderen zu und doziert scherzhaft: „Die Staatsmacht ist allzeit zum Kampf gegen den Klassenfeind bereit. Vernichten wir also seine Machwerke! Zum Wohle allerseits!“
Nach einigen Minuten trennen sich die Männer. Für Korges und den Kriminaltechniker bleiben nur wenige Stunden Schlaf.
Während Korges mit Dienstbeginn an seinem Schreibtisch über dem Untersuchungsplan brütet, ist sein Spurensucher längst schon wieder am Fundort des toten Mädchens. Das Wetter ist klar und angenehm und bietet gute Sichtverhältnisse. Die Sicherungskräfte sind längst durch die nächste Schicht ersetzt worden und lümmeln gelangweilt im Gelände.
Das Fehlen von Schleifspuren bestätigt die frühe Vermutung Korges’, daß der Fundort mit dem Tatort identisch ist. Diese
Weitere Kostenlose Bücher