Ekel / Leichensache Kollbeck
versuchte, seine Gedanken zu ordnen, wollte allein sein. Gegen Mittag verließ er die Wohnung, suchte ein Lokal auf. Dort kostete ein einfaches Bier nur vierzig Pfennig. Er goß neun Glas Bier in sich hinein, um das Grübeln zu erleichtern. Ihm war klar, daß man seine Spuren am Tatort, zumindest an der Leiche, finden würde. Er konnte deshalb nicht einfach so tun, als sei nichts geschehen. So erwog er, den Friedhof nochmals aufzusuchen und, falls die Leiche noch nicht entdeckt worden sei, nach weiterer Spurenverwischung den Fund selbst anzuzeigen. Das schien ihm die beste Lösung zu sein, zumal er auf diese Weise die Polizei in eine falsche Richtung lenken könnte. Nun war nur noch Selbstdisziplin und Beherrschung nötig. Daß er sie zu besitzen glaubte, davon war er bis zu dem Moment überzeugt, als der Hund ihn am Geruch auf dem Büstenhalter wiedererkannte. Sicher wäre Bernd Treese auch ohne sein bereitwilliges Geständnis eines Tages überführt worden, wenn alle Gutachten vorgelegen hätten. Doch seine Kooperation verkürzte das Ermittlungsverfahren.
Bernd Treese wurde nach der psychiatrischen Untersuchung für voll schuldfähig befunden. Der Zweite Strafsenat des Bezirksgerichts Schwerin verurteilte ihn entgegen seiner Befürchtung nicht zum Tode, sondern zu lebenslangem Freiheitsentzug.
Treese fragte sich, ob seine Geständnisbereitschaft das Gericht gnädig gestimmt und davon abgehalten hatte, die Todesstrafe auszusprechen. Er hätte, wie es sein Recht gewesen wäre, die Tat auch hartnäckig leugnen können. Doch die Demonstration der Geruchsdifferenzierung hatte ihn so tief beeindruckt, daß er sein Widerstandskonzept alsbald aufgab. Konnte auf diese ungewöhnliche Weise ein Schäferhund sein Leben gerettet haben?
Eine Antwort fand er nicht, wohl aber war er über das Urteil auf eine merkwürdige Weise glücklich.
Ein Nachgedanke zwingt sich auf: Die makabren Auswüchse des Gebrauchs von Geruchsspuren durch die DDR-Sicherheitsorgane dürfen den kriminalistischen Nutzen dieser Methode bei der Verbrechensbekämpfung nicht in Frage stellen.
Ebenso wie andere Mikrospuren, können auch die Geruchsspuren die Täterermittlung begünstigen, selbst wenn sie nach wie vor als Beweismittel unzulässig bleiben müssen, wie übrigens diverse andere Verfahren auch, die zwar als Ermittlungshilfen eingesetzt werden, vor dem Prozeßrecht allerdings keine Akzeptanz finden. In vielen Fällen ebnen sie den Weg zur Erlangung zulässiger Beweise. Der Geruchssinn eines Differenzierungshundes ist eine Million mal besser ausgeprägt als der des Menschen. Und da kein objektives, von den Gerichten als Beweismittel anerkanntes naturwissenschaftliches Verfahren auch nur eine annähernde Empfindlichkeit besitzt, sollte im Interesse der Kriminalitätsbekämpfung kein ethischer Argwohn aufkommen, wenn eine moderne Kriminalpolizei auch auf den Einsatz solcher Spezialhunde zurückgreift.
Übrigens arbeitet die nordrhein-westfälische Landespolizeischule für Diensthundeführer in Holte-Stukenbrock seit Mitte der achtziger Jahre intensiv an der Nutzung des Geruchsvergleichs bei der Verbrechensbekämpfung. Inzwischen ist die Methode sogar verbessert worden, doch das Prinzip wurde beibehalten. Auch andere Länder der Europäischen Union wenden sie in der kriminalpolizeilichen Praxis an.
Grüne Fasern im Hollerbusch
(Aktenzeichen: 369/69 VP-Kreisamt Hainichen)
Am späten Nachmittag des 18. Oktober 1969 steht ein aufgeregter Mann mitten auf der Fernverkehrsstraße 169, etwa 12 Kilometer nordöstlich von Karl-Marx-Stadt, wie Chemnitz seit 1953 heißt, kurz vor Frankenberg, dort, wo der Weg zum Lichtenwalder Schloßpark führt. Hilflos schwenkt er die Arme, um auf sich aufmerksam zu machen. Doch die Autofahrer nehmen keine Notiz von ihm. Eine Radfahrerin nähert sich. Heftig gestikulierend läuft er ihr entgegen und zeigt auf den steilen Hang mit den dichten Holunderbüschen, am rechten Wegrand: „Schnell, holen Sie die Polizei, da liegt ein Toter!“
Erschrocken und zugleich mißtrauisch hält sie an und steigt vom Rad.
„Was ist los?“ fragt sie, als ob sie seine Aufforderung nicht verstanden hätte.
„Da im Gestrüpp liegt eine Leiche. Ich habe sie gerade entdeckt, als ich hier spazieren ging.“
Aus sicherer Distanz riskiert die Frau einen teils neugierigen, teils angstvollen Blick in die Richtung, in die der Mann weist. „Dort liegt sie, halb verscharrt“, erklärt er.
Es ist wahr. Die Frau kann die Konturen eines leblosen
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