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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
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versammelt. Ein ungewöhnliches Duftgemisch aus Kaffee, frisch geräucherten Wiener Würstchen, belegten Brötchen und Zigarettenrauch durchzieht den Raum.
    Vielitz blickt genüßlich über den Tisch, setzt sich zu den anderen und eröffnet die Zusammenkunft mit der Feststellung: „Das sieht ja gut aus!“
    Dabei lächelt er Uta Kaiser, die einzige Frau in der Runde, an, die sich nicht nur um die Schreibarbeiten in der MUK kümmert, sondern auch für diesen gedeckten Tisch verantwortlich fühlt. Mit seiner Aufforderung „Na dann, Genossen, laßt’s euch schmecken!“ beginnt das bescheidene morgendliche Gelage.
    Oberleutnant Wischnewski, der Kriminaltechniker und Älteste in der MUK, ein penibler, exzellenter Spurensucher, fragt kauend vom anderen Tischende her seinen jungen Chef: „Henne, berichte doch mal, was die hohen Herrschaften gesagt haben!“ Henner Vielitz, dem seit der Jugendzeit der Spitzname „Henne“ anhaftet, verkündet mit ironisch erhobener Stimme: „Genosse Oberst Kröber und die Parteileitung danken allen an der Aufklärung des Brennpunktes ‚Messerstecher‘ beteiligten Genossen für ihre hohe Einsatzbereitschaft und vorbildliche Pflichterfüllung!“
    „Aah-men!“ wirft Wischnewski sarkastisch ein.
    Ein anderer mischt mit: „Heute dürfen wir mal die Größten sein!“
    Vielitz zieht das Gespräch wieder an sich: „Prämien gibt’s später!“
    „Na, wenn das so ist …!“ Alfred Meinicke, der ewige Stellvertreter des MUK-Leiters, ein rothaariger, untersetzter Typ, älter als Vielitz, präsentiert unter dem Beifall der anderen mit großer Geste eine Flasche Weinbrand und fordert, um wegen des strikten Alkoholverbots während der Dienstzeit möglichen Petzen den Zutritt zu verwehren: „Uta, schließ mal die Tür ab!“ Dann fragt er in die Runde: „Wer will einen Kurzen?“
    Keiner ist abgeneigt und deshalb mahnt Oberleutnant Vielitz: „Aber wirklich nur einen! Ihr wißt ja, es gilt: Hämmern und sicheln, nicht schlemmern und picheln!“
    Eine verhaltene Ausgelassenheit erfaßt die Kriminalisten, wohl wissend, daß ein einfaches Telefonat sie jederzeit in die harte Realität des MUK-Alltags zurückholen kann. Jetzt aber gilt es erst einmal, mit dem traditionellen Frühstück die hinter ihnen liegenden letzten Monate anstrengender Ermittlungstätigkeit würdig abzuschließen.
    Mehrere Jahre trieb ein unbekannter Täter im Stadt- und Waldgebiet von Rahnsdorf sein Unwesen. In unregelmäßigen Abständen – mal mehrmals in einem Monat, mal nach wochenlangen Pausen – und zu unterschiedlichen Uhrzeiten überfiel er im Schutze der Dunkelheit Frauen, die ohne Begleitung waren. Mit äußerster Brutalität brachte er sie in seine Gewalt, bedrohte sie mit einem Messer, fügte ihnen mitunter gefährliche Stichwunden zu und zwang sie zum gewaltsamen Geschlechtsverkehr. Manchmal wurden die Frauen derart übel zugerichtet, daß sie im Köpenicker Krankenhaus wochenlang stationär behandelt werden mußten.
    Ständig verbreiteten sich neue Nachrichten von weiteren Überfällen. Eine Anzeige nach der anderen ging bei der VP-Inspektion Köpenick ein. Doch die Angaben zur Person des Täters waren widersprüchlich, so daß es ziemlich lange dauerte, einen Serientäter zu vermuten.
    Die Angst vor dem schrecklichen Phantom breitete sich immer weiter aus. Schließlich mußten Polizeiführung und SED-Bezirksleitung mit beruhigenden Presseinformationen reagieren. Doch sie kamen bereits zu spät. Die Entstehung bizarrer Gerüchte war nicht mehr aufzuhalten. Bald wurde unter den Bürgern gemunkelt, der Messerstecher von Rahnsdorf habe schon mehr als 90 Frauen überfallen. Die tollkühnsten Versionen über den Täter machten die Runde. Man sparte auch nicht mit harscher Kritik an der Arbeit der VP, die den Täter hätte längst hinter Schloß und Riegel bringen sollen.
    Bald wagte sich in der Dämmerung kaum eine Frau ohne schützende Begleitung aus dem Haus. Immer mehr wurde der Fall des unbekannten Messerstechers zum Politikum: Raumpflegerinnen, Zeitungszustellerinnen, Krankenschwestern und andere Schichtarbeiterinnen weigerten sich hartnäckig, ihre Wohnhäuser zu verlassen, weil sie befürchteten, auf dem Wege von oder zur Arbeit von dem Unhold überfallen zu werden. Sie bombardierten die großen und kleinen Obrigkeiten flächendeckend mit Eingaben und forderten polizeilichen Schutz. Doch VP-Streifen konnten nur vereinzelt präsent sein. Es war praktisch nicht durchführbar, einen ganzen Stadtbezirk

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