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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
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Das Ekel von Rahnsdorf
    (Aktenzeichen 131–196–71 Staatsanwalt von Groß-Berlin)
    Es ist Mittwoch, der 24. März 1971, gegen 19.00 Uhr – ein trüber, naßkalter Abend, kein Wetter für depressive Gemüter. Tagsüber hatte es stundenlang geregnet. Dadurch war der letzte Schnee gänzlich weggetaut. Nun keimt die Hoffnung auf einen nahen Frühling.
    Die S-Bahn aus der Friedrichstraße rollt unaufhaltsam durch die diesige Großstadt in Richtung Erkner. An jeder Station kündigt ihr unverwechselbarer, zischender Atem das Schließen der Türen zur Weiterfahrt an. Aus den Bahnhofslautsprechern mahnen undeutliche, metallene Stimmen zum Zurückbleiben. Die meisten Fahrgäste in den Waggons sind mit sich selbst beschäftigt. Die einen blättern in der Abendzeitung, andere dösen vor sich hin oder starren gedankenvoll durch die beschlagenen Scheiben nach draußen in die eilig hereinbrechende Dunkelheit. Kaum jemand spricht.
    Eine junge Frau, etwa 30, eingehüllt in einen Mantel mit auffällig braun-weißem Fischgrätenmuster, sitzt einem, am Bahnhof Ostkreuz zugestiegenen, älteren Mann gegenüber, der sie aus den Augenwinkeln interessiert beobachtet. Sie hat ihre kleine braune Aktentasche auf die Oberschenkel gelegt und benutzt sie als Unterlage für ein Buch, in das sie sich bereits seit ihrem Einstieg am Bahnhof Friedrichstraße vertieft hat.
    Die ganze Zeit versucht ihr Gegenüber herauszufinden, was für ein Buch sie so interessiert liest. Nur mühsam erkennt er lediglich irgendwelche Zahlenreihen und geheimnisvolle Zeichen. Doch er kann sie nicht deuten. Hinter Friedrichshagen, dort wo die Bahn ungewöhnlich lange ohne anzuhalten den riesigen Stadtpark durchquert, kann er seine Neugier nicht mehr zurückhalten: „Tschuldigung, ich bin nur neugierig, was Sie da lesen!“
    Die junge Frau hat sein Interesse längst bemerkt. Überlegen lächelnd zeigt sie ihm den Buchdeckel: „Lineare Operatoren in normierten Räumen“. Doch der Sinn dieses Titels bleibt dem Mann verschlossen. Fragend schaut er die Frau an. Offensichtlich bemerkt sie seine Hilflosigkeit: „Es ist nur Mathematik! – Aber sie kann auch spannend sein wie ein Krimi.“
    „Ach so“, reagiert der Alte enttäuscht, schiebt aber eine Frage nach: „Sie studieren wohl so was?“
    „Ja, so ungefähr“, antwortet sie kurz.
    Die Bahn erreicht kurz nach 19.45 Uhr die Station Rahnsdorf. Die junge Frau im Fischgrätenmantel hat ihr Fahrziel erreicht, steht auf und lächelt ihrem Gegenüber noch einmal zu.
    „Na, dann viel Erfolg beim Studium!“ verabschiedet sich der Alte. Dankend erwidert sie seinen aufrichtig erscheinenden Wunsch mit einem freundlichen Kopfnicken.
    Nur wenige Menschen verlassen die Bahn und eilen die große, breite Treppe hinunter dem Ausgang des Bahnhofs zu. Gegenüber wartet die Straßenbahn nach Woltersdorf bereits auf ihre Fahrgäste. Doch die junge Frau schlägt die südliche Richtung in den Hegemeisterweg ein. Dieser führt schnurgerade durch den Wald und endet nach einem reichlichen Kilometer direkt am Ortsrand von Rahnsdorf, dem idyllischen Flecken am Ufer des Müggelsees. Von dort ist es nur noch ein Steinwurf weit bis zu ihrem Haus in der Blossiner Straße.
    Der Hegemeisterweg ist ein beliebter Spazierpfad für die Sonntagsausflügler und eine bevorzugte Abkürzung für die in Rahnsdorf Ansässigen. Vor einigen Jahren wurde der Weg asphaltiert und macht nun auch bei schlechtem Wetter seine Benutzung möglich. Die Laternen entlang des Waldweges bilden nur blasse, enge Lichtkegel. Zwischen ihnen werfen die schlanken Kiefern gespenstische Schatten, die sich übergangslos mit der Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht verbinden.
    Sicher und zügig schreitet die Frau im Fischgrätenmantel auf dem vertrauten Weg. Das Klicken ihrer Schuhabsätze auf dem Asphalt verrät das Gleichmaß ihrer Schritte.
    Welchen Gedanken sie auf ihrem Heimweg nachhängt, wird für immer unbekannt bleiben. Knappe hundert Meter weiter begegnet sie einem Mann, der wenige Augenblicke später ihrem Leben ein jähes Ende setzen wird.
    Als Oberleutnant Vielitz, ein 34jähriger, mittelgroßer Krauskopf, am Morgen des 25. März von der Lagebesprechung beim Leiter der Berliner Kriminalpolizei in die Diensträume der MUK zurückkehrt, sind seine sieben Mitstreiter bereits erwartungsvoll um den großen, mit allerlei kulinarischen Produkten aus der Kantine gedeckten Tagungstisch

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