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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
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wohl ein Kind erwarte, blieb sie bei ihrem alten Argument. Erstaunlicher Weise sagten selbst die in der Folgezeit durch die Kriminalpolizei befragten Zeugen übereinstimmend aus, bei Birgit Werner keine auffällige Schwangerschaft wahrgenommen zu haben.
    In der Nacht zum 13. Juli 1971 stellten sich plötzlich heftige Wehen ein. Die Schmerzen brachten sie aber keineswegs aus der Fassung. Birgit besaß ausreichende Erfahrung mit derartigen Reaktionen ihres Körpers. Ruhig, ja fast gelassen, begab sie sich in den Keller, setzte sich auf den kühlen Fußboden und wartete auf die Geburt. Es dauerte nur wenige Minuten und sie gebar ein Kind. Es war ein Mädchen. Sie wagte nur einen kurzen, scheuen Blick. Dann zerriß sie die Nabelschnur mit den Händen.
    Die kläglichen Schreie des Kindes irritierten sie. Hastig wickelte sie das kleine Geschöpf in ein Badelaken und verließ den Keller. Ohne jegliches Mitgefühl überließ sie es seinem elenden Schicksal. Sie bemerkte nicht mehr, daß die Schreie des Kindes bald für immer verstummten.
    Am nächsten Morgen – Birgit Werner hatte sich von den nächtlichen Anstrengungen ein wenig erholt – nahm sie das Päckchen mit dem leblosen kleinen Körper aus dem Keller und warf es in die Hausmülltonne. Dann füllte sie soviel Abfall nach, daß der Leichnam völlig abgedeckt war. Einige Stunden später wurde die Tonne durch die städtische Müllabfuhr geleert.
    Birgit Werner kann ihren Gedanken nicht weiter nachhängen. Aus dem Lautsprecher im Wartezimmer ertönt blechern die Stimme der Sprechstundenhilfe: „Frau Werner, bitte ins Untersuchungszimmer!“
    Mit großer Beklemmung betritt sie das Zimmer des Arztes: „Kann ich Sie allein sprechen?“
    Dr. Glowatzki ist überrascht, nickt aber wortlos und gibt der Schwester zu verstehen, den Raum zu verlassen.
    Nervös fingert Birgit Werner eine Zeitung aus ihrem Einkaufsbeutel und breitet sie aus. Sie zeigt auf die Fahndungsinformation der Polizei über den aufgefundenen Säugling auf der Müllkippe und quetscht mühsam heraus: „Ich war’s. – Das ist mein Kind!“
    Der Arzt überfliegt die Mitteilung. Er ist sichtlich betroffen, faßt sich dann aber: „Die Polizei war schon hier. Sie erkundigen sich überall!“
    Er ruft die Schwester: „Claudia, in der nächsten halben Stunde keine Störung, bitte!“
    Dann wendet er sich Birgit Werner zu: „Das ist ja eine schlimme Sache. Wollen Sie mir erzählen, wie es dazu kam?“
    Birgit Werner nickt schluchzend. Tränen fließen aus ihren Augen – die ersten Tränen nach vielen Monaten. Dann folgt ihre ganze traurige Geschichte.
    Aufmerksam folgt der Arzt ihren Worten. Einige Male muß er sie ermuntern, weiterzusprechen, die Verzweiflung schnürt ihr die Kehle zu. Als sie ihre Schilderung beendet hat, verspürt sie einerseits eine merkwürdige Erleichterung, endlich über alles gesprochen zu haben, was sie seit Tagen so belastet, andererseits erkennt sie, daß nun der Lauf der Dinge nicht mehr aufgehalten werden kann. Dr. Glowatzki blickt sie einen Augenblick lang ziemlich hilflos an. Er befindet sich in einer höchst prekären Lage, die er erst verdauen muß. Dann will er etwas sagen, doch sie kommt ihm zuvor: „Herr Doktor, bitte – rufen Sie die Polizei an! Ich kann es nicht!“
    Der Arzt fühlt eine seltsame Erleichterung: „Es ist gut, daß Sie mich darum bitten … ich hätte es sowieso tun müssen. So verlangt es das Gesetz!“
    „Ich weiß!“
    „Doch bevor ich das tue, muß ich Sie erst untersuchen. Danach gehen Sie nach Hause und warten. Bereiten Sie sich darauf vor, daß die VP dann bald erscheinen wird.“
    Zwei Stunden später folgen die Konsequenzen aus dem Anruf des Arztes: Birgit Werner wird festgenommen. Der „Kommissar Zufall“ hat die Ermittlungen auf diese Weise verkürzt. Und es ist höchst fraglich, ob die Polizei jemals auf Birgit Werner gestoßen wäre, wenn sie sich nicht selbst bezichtigt hätte. Nicht ein einziger Hinweis, nicht ein Indiz lagen bei der MUK vor, womit sie hätte belastet werden können.
    Das Bezirksgericht Erfurt verurteilte Birgit Werner wegen Totschlags gemäß § 113 Absatz 1 Ziffer 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten.
    Heute ist Birgit Werner bereits älter als 55 Jahre. Ihre Tat ist längst gesühnt und aus rechtlicher Sicht vergessen.
    Obgleich die Frau in der DDR an der Gesamtkriminalität nur sehr gering beteiligt war, wurde sie gegenüber ihrem Kind relativ häufig straffällig. Neben der

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