Ekel / Leichensache Kollbeck
und still. Ihr nahezu sklavisches Gebaren, sich bei Knut anzulehnen, und die Sucht nach ständiger Harmonie unterstützt die Zuteilung der Rollen zwischen den Eheleuten und führte mit der Zeit zu einer freundlich-stillen Diktatur des Gatten.
Das große Dilemma im Leben der Birgit Werner begann im Frühjahr des Jahres 1970. Knut hatte sich überraschend für eine Offizierslaufbahn bei der NVA entschlossen. Das Ressort für Militärfinanzen stellte eine erfolgreiche Karriere in Aussicht. Doch dafür mußte er für länger als ein Jahr zur Ausbildung nach Strausberg, in die Nähe von Berlin. Das hieß, die meiste Zeit fernab von der Familie in Arnstadt zu sein. Birgit fand das entsetzlich. Und in den ersten Tagen des Alleinseins verfiel sie in eine tiefe Schwermut. Beruf, Haushalt und Kinder wuchsen ihr schnell über den Kopf. Unordnung und Desorganisation breiteten sich aus. Ihr Selbstbewußtsein begann zu zerbröckeln. Dann entschied die Mutter kurzerhand, für die Zeit der Abwesenheit von Knut die Kinder in ihrem eigenen Hause aufzunehmen. Birgit empfand das zunächst als eine gewaltige Entlastung. Nun hatte sie auch mal Zeit für sich. Doch nach und nach übermannte sie die Langeweile und versetzte sie in Gleichgültigkeit und Isolation. Das eigentliche Familienleben reduzierte sich auf weniger als eine Wochenendehe, denn Knut erhielt nur zweimal im Monat einen kurzen Urlaub, von dem die Hin- und Rückfahrt bereits mehr als einen halben Tag verschlangen. Aber auch dann war alles anders als früher. Die Mutter führte Regie über die Gestaltung dieser Wochenenden. Doch Knut war meist erschöpft, wollte seine Ruhe. Er schlief viel. Mit den Gedanken blieb er meist in Strausberg. Pausenlos schilderte er Episoden aus dem kasernierten Leben und zeigte nur geringes Interesse an dem, was Birgit betraf. Manchmal war sie sogar froh, wenn die Turbulenzen solcher Wochenenden wieder vorüber waren.
Träge flossen die Monate des Alleinseins dahin. Immer öfter kehrte sie nach Arbeitsschluß nicht allzu schnell in die Stille ihres Heims zurück und suchte mit der Zeit nach Rechtfertigungen dafür. Anfangs streifte sie ziellos in der Stadt umher. Später fuhr sie häufig nach Erfurt und tauchte im großstädtischen Treiben unter. Sie verbrachte viele Stunden in muffigen Kinos oder ergab sich dem aufregendenden Fluidum der Tanzcafés.
Im September 1970 lernte sie dabei einen Mann kennen, dessen erotisches Charisma sie augenblicklich in seinen Bann zog. Wie hypnotisiert glitt sie in eine Liaison, die ihr später soviel Unglück bescherte. Sicher, es blieb eine kurzzeitige Liebschaft, von der niemand erfuhr, doch sie war von solcher Intensität, daß prompt einen Monat später ihre Regelblutung ausblieb. Mit allen inneren Widerständen wehrte sie sich gegen den Gedanken, erneut schwanger zu sein. Ihr war klar, Knut nicht täuschen und ihn dafür verantwortlich machen zu können. Er würde sofort nachrechnen und sie der Lüge überführen. Auf keinen Fall wollte sie ihre Ehe aufs Spiel setzen, Knut verlieren und sich den Schmähungen der Familie aussetzen. Aber noch bestand Hoffnung, daß die Monatsblutung sich vielleicht nur verzögerte.
Doch auch die nächsten Wochen vergingen ohne die erlösenden Tage. Sie klammerte sich hilflos an die Hoffnung auf einen Zufall, sich etwa durch einen Abort oder eine Totgeburt des Problems entledigen zu können. Aber ihre Gleichgültigkeit lähmte jede Aktivität, die einen Fruchtabgang hätte provozieren können.
Je mehr die Zeit verstrich, um so stärker ballten sich ihre inneren Kräfte zusammen, das werdende Kind keinesfalls anzunehmen. Ständig richteten sich ihre Gedanken auf die Ablehnung des entstehenden Lebens in ihrem Leib. Wut, Haß und diffuse Vorstellungen nach Zerstörung breiteten sich aus. Ihre Einbildungskraft hatte schließlich eine derartige Wirkung, daß der Umfang ihres Bauches nur geringfügig zunahm. Knut und die Mutter bemerkten dies zwar, doch ein stichhaltiges Argument hatte sie sofort parat: Der dicke Leib sei lediglich die Folge einer allgemeinen Gewichtszunahme, der sie mit Appetitszüglern und Schlankheitskuren begegnen wolle. Der relativ unauffällige Zustand ihres Körpers unterstützte ihren Entschluß, sich weder bei einer Schwangerenberatungsstelle noch bei einem Arzt vorzustellen. „Warum schlafende Hunde wecken? Mein Bauch gehört mir. Auch das, was drin ist!“
Selbst später, als der geschulte Blick manche Arbeitskollegin zu der Frage veranlaßte, ob sie
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