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El Camino Amable

El Camino Amable

Titel: El Camino Amable Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Curth
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hinzu, dass diese sehr wohl gemerkt habe, dass Gäste gekommen seien, aber in aller Ruhe im Gang um die Ecke den Fußboden putze. „Das macht die extra so“, meint unsere freundliche Gesprächspartnerin, die sich inzwischen als Ina vorgestellt hat. „Sie lässt die Leute immer warten, das unterstreicht ihre eigene Wichtigkeit.“ Wir sind inzwischen acht Pilger in der Warteschleife, langsam wird es eng. Alle haben die Rucksäcke abgesetzt, aber wenn ich daran denke, wie sehr manchen hier sicher die Füße wehtun, dann finde ich diese Warterei - falls sie wirklich auf Schikane beruht - nicht in Ordnung.
    Weitere 20 Minuten vergehen, bis ein junges Mädchen in einer abgetragenen Kittelschürze und mit Eimer und Schrubber in der Hand um die Ecke kommt. Ihre Augen weiten sich, als sie uns stehen sieht, ob der vielen Arbeit, die da durch uns auf sie zukommt. Sie schaut entgeistert die Reihe entlang und fragt fassungslos: „Todos?“ Alle? Ja, verflixt noch mal, alle hier sind hundemüde, haben Hunger und Durst, wollen nichts anderes als ein Bett, duschen und sich ausruhen. Alle!
    Sie lässt noch einmal einen prüfenden Blick über unser Grüppchen schweifen, dreht sich seufzend um und bringt in aller Ruhe Eimer und Wischer fort. Als sie wiederkommt, setzt sie sich hinter den mächtigen Schreibtisch, streift die Ärmel hoch, legt die junge Stirn in Falten und greift mit der Würde, die ihr eine Kittelschürze gegenüber uns - dem simplen Fußvolk — verleiht, zum Stift. Dann müssen wir einzeln vortreten und umständlich erkundigt sie sich nach dem Namen und dem Herkunftsland, dreht und wendet und prüft den Pilgerpass, bis sie nach dem Stempel greift. Der Stempel: Er entscheidet über den Platz in der Herberge! Dieser Stempel ist das Machtinstrument und verleiht ihr die Hoheit über die Herberge und die Menschen, die hier bleiben. Einen Augenblick verharrt ihre Hand in der Luft, bis sie mit gewichtigem Druck und akribisch genau den Stempel in ein freies Feld des Pilgerpasses drückt.
    Wenn ich nicht genau wüsste, dass reichlich Betten vorhanden sind, wäre ich wirklich in Sorge um mein Nachtlager! Es ist beeindruckend, welch eine Drohung, welch ein Genuss Macht sein kann.
    Kittelschürze und Stempel und das demütig wartende Fußvolk — das erinnert an Kafka.
    So kommt Giacomo auch kopfschüttelnd zu mir und meint nur: „Absurd — das ist wirklich absurd! Man sollte ein Stück über diese Szene schreiben!“ Recht hat er. Aber da wir wirklich zunächst einmal noch kaputt sind, schultern wir nur dankbar die Rucksäcke und suchen unser Bett. Das Stück muss warten.

    Ich habe ein Bett im Souterrain bekommen, wir sind zwei Frauen und zehn Männer in diesem Schlafraum. Die Betten stehen in einem Abstand von zehn Zentimetern nebeneinander. Diese Enge erinnert mich an Grañón, wenngleich ich die Betten doch dem Matratzenlager vorziehe.
    Draußen im Garten lerne ich Ina aus Schleswig-Holstein näher kennen. Was neben ihrem leuchtend roten Haarschopf ebenfalls sofort angenehm auffällt, ist ihr strahlendes Lächeln. Ina sitzt auf der Bank und strickt Socken. Ich finde die Idee umwerfend, aus Deutschland Wolle mitzunehmen und Hunderte von Kilometern samt Nadeln im Rucksack zu schleppen, um sich unterwegs Socken zu stricken! Ina lächelt mich an und rückt auf der Bank ein Stück zur Seite, um Platz für mich zu machen. Sie ist mir gleich sympathisch, es ergibt sich ein Gespräch und nach einiger Zeit reden wir miteinander, als ob wir uns schon lange kennen würden. Auf dem Camino gehen die Menschen eben unkomplizierter und offener miteinander um.
    Während wir uns unterhalten, kommt Theo kurz vorbei und erzählt, dass er zum Essen gehen wolle. Ich sage zu Ina, dass ich später nachgehen werde, denn vielleicht gehört Theo zu einer festen Gruppe, die beim Essen zusammensitzen möchte, da würde ich dann bloß stören. Ina meint, man muss sich „anhängen“, mitgehen, als Gesprächspartner anbieten. Die anderen Pilger warten auf Kommunikation. Ich denke an den Nachmittag in Molinaseca, als ich es bedauerlicherweise abgelehnt hatte, Paula und Angel und die beiden netten jungen Leute aus Paris zum Essen zu begleiten - vielleicht hat sie recht. Also mache ich mich auch auf ins Restaurant und lerne Theo und Pia näher kennen. Theo ist groß, blond und Ende vierzig, er macht einen durchtrainierten Eindruck - vielleicht weil er die Strecke zum zweiten Mal geht. Er kommt aus Berlin und erzählt, dass er die erste Hälfte des

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