El Camino Amable
ist wesentlich geprägt durch das Pilgertum am Jakobsweg. So ließ im 11. Jahrhundert ein Bischof von Astorga für die Pilger eine Brücke über den Fluss Sil bauen. Um diese Brücke herum entstand bald eine Siedlung, die unter dem Schutz des Templerordens wuchs. Noch immer ragt die Burg eindrucksvoll über den Fluss. Heute ist Ponferrada die Hauptstadt der Region Bierzo und ein reges kleines Städtchen mit allerlei Sehenswürdigkeiten.
Die Templerburg war wegen Bauarbeiten gerade nicht so fotogen, also habe ich einen anderen Blickwinkel zum Fotografieren gesucht und bin dann auch gleich schon mal weiter über den Fluss gegangen — wohl wissend, dass die Wegbeschreibung einen anderen Abstieg zum Fluss vorsieht. Das Ende vom Lied war, dass ich mich tüchtig verlaufen habe. Kein Pfeil und keine Muschel mehr! Einige Passanten haben mir ein paar Richtungen empfohlen, aber als ich dann an einem Kreisverkehr mit etwa acht Einmündungen stand, war ich doch kurz vor dem Verzweifeln und habe bloß gedacht: „Jetzt brauche ich einen Engel!“ In diesem Augenblick fasste mich ein älterer Herr am Ellbogen und fragte freundlich: „A Santiago?“ Als ich bejahte, drehte er mich einfach in die richtige Richtung und schickte mich mit einem freundlichen Klaps auf den Arm wieder auf den Weg: „Buen Camino!“ Jetzt weiß ich: Engel tragen karierte Hemden!
Ich bin dann kilometerweit durch ein Gewerbe- und Industriegebiet gelaufen, habe noch zwei Leute gefragt, welche mir die Richtung bestätigten, und irgendwann waren sie auch wieder da, die gelben Pfeile — nach neun Kilometern!
Es war den ganzen Tag bedeckt und es hat auch zweimal geregnet, aber nicht schlimm. Die Erde dampfte und das Laufen ging prima, ich bin deshalb auch deutlich weiter gelaufen als geplant: immerhin 37 Kilometer, und endlich auch wieder durch Weinberge. Ich finde es einfach schöner, durch die Natur zu laufen als über die asphaltierten Wege der Dörfer und Städte. Bis zu meinem heutigen Ziel in Pereje konnte ich die Landschaft wieder nach Herzenslust genießen; Weinberge und kleine Waldstücke wechselten sich ab.
Es ist schon 15 Uhr, als ich in Pereje, meinem heutigen Ziel, ankomme. Dort sitzen einige Pilger draußen vor der Herberge, im Vorbeigehen gibt es immer einen freundlichen Wortwechsel. Als ich die Herberge betrete, gelange ich in einen großen, gemütlichen Raum, der vorwiegend mit Holz gestaltet ist. Ich stehe allein vor einem großen Schreibtisch. Ein verstohlener Blick auf das offen daliegende Herbergsbuch zeigt mir, dass noch 17 Betten frei sind. Ich bin beruhigt, da ist mit Sicherheit ein Bett für mich dabei. Während ich warte, dass ein Hostalero kommt, schaue ich mich im Raum um. Es gibt einen Parkettfußboden, große Schränke und einen massiven Tisch. Die Möbel wirken antik und alles macht einen gepflegten Eindruck.
Nach einiger Zeit öffnet sich die Eingangstür und drei junge Männer kommen herein. Wir wechseln ein paar Worte auf Englisch. „Hey!“
„Hey!“
„You’re waiting?“
„Yes, hope, somebody will come and give us a bed.“
„So do I.“
„Where are you from?“
„Germany.“ Ab hier geht es dann mit spürbarer Erleichterung auf Deutsch weiter. Die drei jungen Männer kommen aus Ulm und haben ihren Weg in Ponferrada begonnen. Sie wollen gemeinsam nach Santiago de Compostela, haben aber nur zwei Wochen Zeit. Das reicht nur für die letzten 200 Kilometer und heute ist ihr zweiter Wandertag. Während wir uns unterhalten, kommt Giacomo, ein gut aussehender, junger Mönch aus Florenz, mit seinen beiden Begleitern. Giacomo ist 28 Jahre alt, erzählt er, im Herbst will er sein Gelübde ablegen und in seiner Heimatstadt Jugendarbeit machen. Er spricht perfekt Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch und wechselt einige Worte mit seinen Begleitern, bis er unsere Nationalität herausgefunden hat. Dann führt er die Konversation auf Deutsch weiter und übersetzt das Gespräch immer wieder freundlich und höflich für seine Begleiter ins Italienische.
Wir warten eine ganze Weile, ohne dass jemand kommt und sich um uns kümmert. Dabei hören wir die ganze Zeit, wie irgendwo im Haus der Fußboden gewischt wird. Lappen werden ausgewrungen und Eimer klappern - aber zu sehen ist niemand. Nach einer Weile kommt eine freundliche Pilgerin aus dem Souterrain hoch in den Anmelderaum. Sie betrachtet uns mit einem etwas belustigten Blick und meint dann leichthin, die Hostaleria sei eine kleine Hexe. Schmunzelnd fügt sie
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