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El Camino Amable

El Camino Amable

Titel: El Camino Amable Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Curth
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der Küche. Ich frage die Frau, ob sie wirklich den ganzen Camino mit den Kindern läuft. „Ja, sicher“, sagt sie, „kein Problem!“ Die beiden Jungen sind etwa 4 und etwas über 5 Jahre alt. Sie sind am 10. April in der Nähe von Nürnberg aufgebrochen und wenn der Kleine mal müde wird, wird er in der Karre geschoben. Die Karre ist relativ breit, dreirädrig und hat ebenfalls ein verstärktes Dach, wie ich es schon einmal gesehen habe, sodass sie oben bepackt werden kann. Ich frage mich, wie die Familie durch die Geröllhalden und Flussbetten gekommen ist! Ein Hund gehört auch noch dazu. Wir genießen dann gemeinsam das Frühstück, das die Herbergseltern uns kostenlos hingestellt haben. Zwanzig vor sieben gehe ich los.
    Als Erstes gehe ich wieder aus Versehen falsch um die Kirche herum. Das ist aber kein großer Umweg. Dann beginnt der Aufstieg auf den zweithöchsten Pass des Camino. Ich habe mir den auch mal wieder ganz falsch vorgestellt, mit hohen Bäumen, kalt, regnerisch und irre steil. Es ist aber nicht so. Es geht zwar tüchtig bergauf, aber in vielen Serpentinen. Die Sonne geht auf und ich genieße die Aussicht. Die umliegenden Berge sind wirklich eindrucksvoll, eine Kette liegt hinter der anderen und Dörfer oder Ortschaften sind nicht erkennbar: Natur pur. Ein feiner Dunstschleier verbietet das Fotografieren, man muss die Erinnerung so im Kopf behalten.
    Ich freue mich auf einen Höhepunkt der Wanderung, von dem ich schon zu Hause gehört und gelesen habe. Heute Morgen komme ich am Cruz de Ferro vorbei, jenem kleinen Eisenkreuz, das auf einem 5 Meter hohen Mast steht und weithin sichtbar ist. Als Pilger legt man hier einen Stein ab, der das Ablegen der Last, unter der man aufgebrochen und gewandert ist, bedeuten soll. Jeder Pilger führt so eine jahrhundertealte Tradition fort.

    Nach fünf Kilometern wird es recht steil, aber ich erreiche das Cruz de Ferro schneller als erwartet und ich freue mich, den gefürchteten Pass (1504 Meter) so unkompliziert bewältigt zu haben. Der Steinhaufen ist imposant und ein beliebtes Fotomotiv. Natürlich lege auch ich meinen Stein ab, ich habe aber nur einen kleinen mitgenommen. Meine alltägliche Last ist nicht sehr groß und sollte es auch beim Rucksackschleppen auf dem Camino nicht werden.

    Auf dem Pass befindet sich genau neben dem Kreuz eine Wiese, auf der eine kleine Kapelle steht. Leider ist die Tür mit einem Gitter verschlossen, doch als ich hineinschaue, sehe ich viele rote Kerzen brennen. Echte Kerzen.

    Nach einer kleinen Pause am Cruz de Ferro stelle ich erstaunt fest, dass es erst halb neun ist! Ich gehe weiter, doch wenn ich gehofft habe, dass es nach einem Pass bergab geht, sehe ich mich getäuscht: Der Weg führt noch deutlich auf und ab. Es ist kühl und ich gehe deshalb recht schnell. Das ist aber vorbei, als der Abstieg beginnt. Der Weg ist ungewöhnlich schmal und sehr felsig. Er besteht aus gefaltetem Fels, wobei die Schmalseiten der Faltung nach oben stehen. Auf diesen scharfen Kanten muss man gehen und dabei höllisch aufpassen, wohin man tritt, um nicht mit den Füßen umzuknicken. Die Aussicht ist einfach fantastisch, aber ich kann sie nicht immer bewundern — siehe oben!

    An dieser Stelle des Camino merkt man auch, dass die Pilgerdichte pro Quadratmeter jetzt deutlich zunimmt. Ich gehe am Ende einer Reihe von etwa acht Pilgern, von denen besonders die hinteren spanisch oder italienisch reden - und sie reden immerzu. Kann man nicht schweigend laufen und genießen? Ich arbeite mich langsam vor, bis ich die Gruppe abgehängt habe. So ist es besser. Langsam bekomme ich Hunger und der anstrengende Abstieg dauert und dauert...

    Gegen halb elf ist El Acebo zu sehen. Ich erkenne von oben einen roten Sonnenschirm auf einem kleinen Platz und nehme mir vor, in einer halben Stunde genau dort zu sitzen. Also klettere ich so vorsichtig und dabei so zügig wie möglich stetig abwärts, bis ich tatsächlich nach 35 Minuten den Platz erreiche. Geschafft!
    In einer kleinen Alimentación an diesem Platz kaufe ich ein und frühstücke mit Brot, Chorizo, Käse, Tomaten und Brunnenwasser ausgiebig und genussvoll. Es ist hier wirklich wunderschön — und gleichzeitig frage ich mich, ob ich verrückt bin, dass ich erst einmal 18 Kilometer bei dieser Affenhitze über Berg und Tal laufen muss, um ein Frühstück zu genießen. Andere verbringen ihren Urlaub, indem sie fünf Minuten nach dem Duschen am gedeckten Tisch vor dem Frühstücksbüfett sitzen und

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