El Silbador
hochwertigen Waffen bestand, die dieser Kauffahrteifahrer an Lord Howes Kolonialarmee zu liefern hatte. Man hatte dieses Schiff ausgesucht, um den Waffentransport möglichst unauffällig zu bewerkstelligen.
»Ich habe Weiber an Bord gesehen«, sagte Marina, »was haben die an Kostbarkeiten zu bieten?« »Oh, nicht viel, Madam. Zwei von ihnen sind Amerikanerinnen, die nach Washington wollen. Sie haben nur das Notwendigste bei sich. Dann ist da allerdings noch die Braut von dem jungen Mr. Hawbury, die ihren Verlobten drüben in den Kolonien heiraten will.« »Ah, Mr. Hawbury wohnt in Amerika und erwartet sie? Dann wird er ein gutes Lösegeld zahlen. Wir werden uns die Dame näher betrachten.«
»No, Madame,« der Kapitän schüttelte eifrig den Kopf. »Mr. Hawbury befindet sich ebenfalls an Bord. Er erwartet sie keineswegs. Mr. Hawbury ist der jüngste Sohn von Lord Hawbury. Soviel ich weiß, ist er von dieser Heirat nicht sehr entzückt. Well, er ist wahrscheinlich ein Taugenichts, dem sein Vater sein Erbteil ausgezahlt und den er in die Neue Welt geschickt hat, damit er dort seine reiche Braut, die ihn von England abholte, ehelichen soll. Ihr müßt wissen, die Dame ist sehr resolut und hat dem alten Lord versprochen, aus seinem Sohn einen Gentleman zu machen.«
»Haltet ein«, lachte Marina. »Jetzt zeigt mir das Paar. Sowas muß man gesehen haben.« Sie übersetzte den umstehenden Piraten, was sie vom Kapitän gehört hatte. Ein schallendes Gelächter war die Antwort.
In diesem Augenblick stürzte ein baumlanger, blonder, junger Mann heran und hielt zwei bewußtlose Menschen beim Kragen, die entsetzlich bluteten.
»Punte! — Hernan!«, schrie Marina wütend. »Zum Teufel, wer hat das getan?«
Sie wandte sich fragend an den Kapitän, der vor Schreck erbleichte; denn er hatte, als er die Aussichtslosigkeit eines Kampfes erkannte, den strengen Befehl gegeben, den Angreifenden keinen Widerstand entgegenzusetzen.
Marina hatte natürlich englisch gesprochen.
Der lange Engländer erklärte hastig die Zusammenhänge.
»Seid versichert, Madam, ich habe keinem ein Haar gekrümmt, obwohl es mir ein Leichtes gewesen wäre. Der Kapitän hatte es ausdrücklich verboten. So wehrte ich nur ab. Dann aber verwundeten sich die beiden gegenseitig. Ich hatte fast den Eindruck, daß sie enttäuscht waren, ohne Verletzung aus diesem Kampf hervorzugehen.«
Marina blickte den Langen mit zusammengekniffenen Augen an.
Die Korsaren fragten:
»Was sagt er, Senorita Capitan?«
Marina erfaßte die Zusammenhänge nicht recht und übersetzte.
Wenn sie erwartet hatte, daß wiederum ein Gelächter aufklingen würde oder daß man sich auf den Engländer gestürzt hätte, weil man ihm nicht glaubte, so sah sie sich enttäuscht. Ringsum herrschte betretenes Schweigen. Die Blicke der meisten Piraten waren zu Boden gerichtet. »Was habt ihr?« fragte sie erstaunt. Keine Antwort.
»Maldito, glaubt ihr vielleicht, was dieser Engländer da erzählt?«
Ein verlegenes Nicken versetzte sie noch mehr in Erstaunen.Die meisten der Umstehenden mochten sich wohl im Augenblick fragen, weshalb sie nicht ebenfalls auf diesen ausgezeichneten Gedanken gekommen sind.
»He, Guillermo, kannst du mir nicht erklären, was in unsere Leute gefahren ist?«
Guillermo kratzte sich verlegen am Kopf, begann dann aber mit stockenden Worten:
»Äh — hm — wie soll ich das erklären — diablo — ja, seht, Senorita, wer wird denn die beiden nun verbinden und nach ihnen sehen? Wer wird sich um ihre Genesung kümmern? Wer wird —«
»Dummes Geschwätz«, unterbrach Marina ärgerlich, »wer wohl, wenn nicht ich selbst? Ist doch sonst niemand da, der etwas von der Heilkunde versteht.«
Guillermo nickte erfreut. Sein verschlagenes Gesicht glänzte diesmal in aufrichtiger Verehrung. »Eben darum«, sagte er. »Die anderen Jungen beneiden die beiden Verletzten um diese Behandlung. Deshalb waren sie auch enttäuscht, daß kein Kampf stattfand. Derjenige, der verwundet worden wäre, hätte das Glück gehabt, in den nächsten Wochen Eure lindernde Hand zu spüren. Nun, und dafür läßt man sich gern mal eine kleine Schramme verpassen. Diese beiden haben das Problem auf ihre Weise gelöst.«
Marina war bestimmt kein Mensch, der sich leicht von tiefer Rührung übermannen ließ. Hier, in diesem Fall war es das erstemal seit Jahren, daß sie andere Tränen weinte als die der Leidenschaft. Sie hätte es nie für möglich gehalten, von einer größeren Gemeinschaft
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