Elantris
allerwichtigsten: dem verstorbenen Prinzen. Misstrauisch kniff Sarene die Augen zusammen. Sicher konnte sie sich nicht sein - schließlich war Eshen eine sehr flatterhafte Person -, aber es hatte den Anschein, als benähme sich die Königin viel zu fröhlich für eine Frau, die gerade eben erst ihren Sohn verloren hatte.
»Hier ist dein Zimmer, Liebes. Wir haben deine Sachen auspacken lassen und noch einiges hinzugefügt. Du besitzt Kleidung in jeglicher Farbe, selbst in Gelb, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, warum du Gelb tragen wollen würdest. Scheußliche Farbe. Nicht dass dein Haar scheußlich wäre! Natürlich nicht. Blond ist nicht dasselbe wie Gelb. Nein! Ebenso wenig wie ein Pferd ein Gemüse ist. Wir haben noch kein Pferd für dich, aber du kannst gern jedes aus den königlichen Ställen nutzen. Wir haben viele edle Tiere, musst du wissen. Duladel ist um diese Jahreszeit sehr schön.«
»Natürlich«, sagte Sarene und sah sich in dem Zimmer um. Es war klein, aber nach ihrem Geschmack. Zu viel Platz konnte genauso einschüchternd wirken, wie zu wenig Platz beengend sein konnte.
»So, die hier wirst du brauchen, Liebes«, sagte Eshen, und deutete mit ihrer kleinen Hand auf einen Stapel Kleider, die im Gegensatz zu den anderen nicht im Schrank hingen - als seien sie erst vor Kurzem geliefert worden. Sämtliche Kleider auf dem Stapel hatten eines gemeinsam.
»Schwarz?«, fragte Sarene.
»Selbstverständlich. Du bist ... du bist ...« Eshen suchte mühsam nach den richtigen Worten.
»Ich soll Trauer tragen«, stellte Sarene fest. Sie stampfte unzufrieden mit dem Fuß auf; Schwarz war nicht gerade ihre Lieblingsfarbe.
Eshen nickte. »Du kannst eines davon heute Abend zur Bestattung anziehen. Es wird bestimmt ein schöner Gottesdienst werden. Ich habe mich um die Blumengestecke gekümmert.« Sie fing wieder von ihren Lieblingsblumen an, und schon bald geriet der Monolog zu einer Abhandlung, wie sehr sie die fjordellische Küche hasste. Sanft, aber bestimmt führte Sarene die Frau zur Tür, wobei sie immer wieder freundlich nickte. Als Eshen draußen im Gang stand, schob Sarene Müdigkeit nach der langen Reise vor und gebot dem Wortschwall der Königin Einhalt, indem sie die Tür schloss.
»Das wird mir sehr bald auf die Nerven gehen«, sagte Sarene zu sich selbst.
»Die Königin besitzt ein ausgeprägtes Konversationstalent, Mylady«, pflichtete ihr eine tiefe Stimme bei.
»Was hast du herausgefunden?«, wollte Sarene wissen. Sie ging zu dem dunklen Kleiderstapel und besah sich die einzelnen Stücke, während Ashe durch das offene Fenster hereingeflogen kam.
»Ich habe nicht so viele Seonen gefunden, wie ich erwartet hatte. Wenn ich mich nicht irre, war diese Stadt einmal voll von uns.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte Sarene und hielt ein Kleid vor dem Spiegel empor, um es dann mit einem Kopfschütteln wegzulegen. »Vermutlich liegen die Dinge nun anders.«
»Allerdings. Wie Ihr mir aufgetragen hattet, habe ich die anderen Seonen zum vorzeitigen Tod des Prinzen befragt. Leider haben sie nur zögerlich über das Ereignis gesprochen, Mylady. Sie betrachten es als ausgesprochen schlechtes Omen, dass der Prinz so kurz vor seiner Hochzeit verstorben ist.«
»Besonders für ihn«, murmelte Sarene, die sich auszog, um das Kleid anzuprobieren. »Ashe, hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Ich glaube, dass der Prinz eventuell umgebracht worden ist.«
»Umgebracht, Mylady?« Ashes tiefe Stimme klang missbilligend, und die Bemerkung ließ ihn leicht pulsieren. »Wer würde so etwas tun?«
»Ich weiß es nicht, aber ... etwas stimmt nicht. Das hier wirkt nicht wie ein Hof, der in Trauer ist. Nimm zum Beispiel die Königin. Sie hat kein bisschen verzweifelt gewirkt, als sie sich mit mir unterhalten hat, dabei würde man meinen, sie sollte zumindest ein wenig von dem Umstand mitgenommen sein, dass gestern ihr Sohn gestorben ist.«
»Dafür gibt es eine einfache Erklärung, Mylady. Königin Eshen ist nicht Prinz Raodens Mutter. Raoden stammt von Iadons erster Gattin, die seit über zwölf Jahren tot ist.«
»Wann hat er wieder geheiratet?«
»Gleich nach der Reod«, sagte Ashe. »Nur ein paar Monate nach seiner Thronbesteigung.«
Sarene runzelte die Stirn. »Ich finde das Ganze trotzdem verdächtig«, entschied sie und griff unbeholfen nach hinten, um sich das Kleid im Rücken zuzuknöpfen. Dann betrachtete sie sich im Spiegel und musterte das Resultat kritisch. »Na ja, zumindest passt es - auch
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