Elantris
...
Neben ihm erklang eine Stimme. »Seht ihn Euch an, Adelige von Arelon!«, rief Sarene. »Seht Euch den Mann an, der Euer König hätte sein sollen. Seht Euch seine dunkle Haut und sein elantrisches Gesicht an! Macht es wirklich einen Unterschied?«
Die Menge wurde still.
»Zehn Jahre lang seid Ihr von einem Tyrannen beherrscht worden, weil Ihr Elantris abgelehnt habt«, sagte Sarene. »Ihr wart die Privilegierten, die Wohlhabenden, aber in gewisser Weise standet Ihr unter einem unerträglichen Druck, denn Ihr konntet Euch nie in Sicherheit wiegen. Sind Eure Titel Eure Freiheit wert gewesen?
Dies ist der Mann, der Euch liebte, als alle anderen Euch nur Eures Stolzes berauben wollten. Ich frage Euch eines: Kann er ein schlechterer König als Iadon oder Telrii sein, bloß weil er Elantrier ist?«
Sie ging vor ihm in die Knie. »Ich für meinen Teil beuge mich Deiner Herrschaft.«
Angespannt beobachtete Raoden die Menge. Einer nach dem anderen ließ sich auf die Knie fallen. Es fing bei Shuden und Lukel an, die in der ersten Reihe standen, aber schon bald weitete es sich auf die anderen aus. Wie eine Welle knieten die Gestalten, manche wie benommen, andere resigniert. Einige wagten jedoch, glücklich dreinzublicken.
Sarene griff nach der zu Boden gefallenen Krone. Es war ein einfacher Reif - aber er stand für so viel. Da Seinalan immer noch vor Verblüffung erstarrt war, übernahm die Prinzessin von Teod seine Pflicht und setzte Raoden die Krone aufs Haupt.
»Sehet Euren König!«, rief sie.
Ein Teil der Anwesenden fing tatsächlich zu jubeln an.
Ein Mann jubelte nicht, sondern zischte wütend. Dilaf sah aus, als wolle er sich am liebsten gewaltsam einen Weg durch die Menge bahnen und Raoden mit bloßen Händen in Stücke reißen. Die Leute, deren Jubelrufe immer lauter und beifälliger wurden, hielten ihn zurück. Der Priester blickte voll Abscheu um sich, dann schob er sich unsanft durch die Menge und entkam durch die Tür, hinaus in die Stadt.
Sarene achtete nicht auf den Priester, sondern sah stattdessen zu Raoden hinüber. »Herzlichen Glückwunsch, Euer Majestät«, sagte sie und gab ihm einen leichten Kuss.
»Ich kann es einfach nicht glauben, dass sie mich akzeptieren«, sagte Raoden verblüfft.
»Vor zehn Jahren haben sie die Elantrier verschmäht«, sagte Sarene, »und haben erfahren müssen, dass ein Mann ein Ungeheuer sein kann, ganz egal, wie er aussieht. Endlich sind sie bereit, einen Herrscher zu akzeptieren, nicht weil er ein Gott ist oder weil er Geld besitzt, sondern weil sie wissen, dass er sie gut führen wird.«
Raoden lächelte. »Natürlich hilft es, wenn dieser Herrscher eine Ehefrau hat, die genau im richtigen Moment eine bewegende Rede halten kann.«
»Stimmt.«
Raoden wandte sich um und sah dem fliehenden Dilaf über die Menschenmenge hinweg nach. »Wer war das?«
»Bloß einer von Hrathens Priestern«, sagte Sarene geringschätzig. »Ich gehe mal davon aus, dass das heute nicht sein Tag ist. Dilaf ist für seinen Hass auf die Elantrier berüchtigt.«
Raoden schien ihre Geringschätzung nicht zu teilen. »Etwas stimmt nicht, Sarene. Warum hat mein Illusionszauber zu wirken aufgehört?«
»Das warst gar nicht du?«
Raoden schüttelte den Kopf. »Ich ... ich glaube, es war dieser Priester.«
»Was?«
»Bevor mein Aon zusammengebrochen ist, habe ich das Dor gespürt, und es ging von diesem Priester aus.« Er hielt einen Moment inne und knirschte mit den Zähnen. »Kann ich mir Ashe ausleihen?«
»Natürlich.« Sarene winkte das Seon herbei.
»Ashe, würdest du eine Nachricht für mich überbringen?«, bat Raoden.
»Selbstverständlich, Mylord«, sagte das Seon auf und ab schwebend.
»Finde Galladon in Neu-Elantris und erzähle ihm, was sich eben zugetragen hat«, sagte Raoden. »Warne ihn, auf etwas gefasst zu sein.«
»Auf was denn, Mylord?«
»Das weiß ich nicht«, meinte Raoden. »Sag ihm einfach, er soll sich bereithalten. Und sag ihm, dass ich mir Sorgen mache.«
Kapitel 57
Hrathen beobachtete, wie »Raoden« den Thronsaal betrat.
Niemand widersetzte sich dem Anspruch dieses Hochstaplers. Schon bald würde dieser Mann König sein, ob es sich nun tatsächlich um Raoden handelte oder nicht. Es
war ein brillanter Schachzug Sarenes gewesen. Telrii aus dem Weg geräumt, ein Prätendent auf dem Thron ... Hrathens Pläne schwebten ernsthaft in Gefahr.
Hrathen beäugte den Prätendenten. Ihn überkam eine eigenartige Welle des Hasses, als er bemerkte, wie Sarene den Mann ansah. Hrathen konnte
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