Elantris
nennen, aber ich unterwerfe mich keinem anderen Mann.«
Sarene betrachtete ihren Onkel mit einer Mischung aus Entsetzen und Überraschung. Sie hatte ihn nie derart reden hören. Gewöhnlich war er so fröhlich wie ein glücklicher Zirkusbär. Nun war sein Gesicht entschlossen und grimmig, von Barthaaren bedeckt, die er sich hatte wachsen lassen, seit man Iadon tot aufgefunden hatte. Der schroffe, aber willfährige Koch war wie weggewischt, und an seiner statt stand da ein Mann, der sie mehr an einen angegrauten Admiral der Kriegsflotte ihres Vaters erinnerte.
»Danke, Kiin«, sagte Raoden.
Ihr Onkel nickte. Die Reiter näherten sich rasch und verteilten sich, um Kiins auf einem Hügel gelegene Festung einzukreisen. Als sie Raoden auf dem Dach bemerkten, trieb ein Soldat sein Pferd noch ein paar Schritte näher an das Haus.
»Wir haben das Gerücht vernommen, dass Lord Raoden, der Kronprinz von Arelon, noch am Leben ist«, verkündete der Mann. »Wenn dem tatsächlich so ist, möge er sich zeigen. Unser Land benötigt einen König.«
Kiin entspannte sich sichtlich, und Raoden stieß einen leisen Seufzer aus. Die Offiziere der Stadtwache standen in einer Reihe, immer noch zu Pferde, und aus der kurzen Entfernung konnte Raoden ihre Gesichter ausmachen. Sie waren erschöpft, verwirrt, aber dennoch hoffnungsvoll.
»Wir müssen rasch handeln, bevor dieser Gyorn etwas unternehmen kann«, wandte Raoden sich an seine Freunde. »Schickt Boten an die Aristokratie. Ich werde mich noch vor Ablauf der nächsten Stunde krönen lassen.«
Raoden betrat den Thronsaal des Palasts. Neben dem Podium, auf dem sich der Thron befand, standen Sarene und der jung aussehende Patriarch des korathischen Glaubens. Raoden war dem Mann gerade erst begegnet, doch Sarenes Beschreibung des Patriarchen hatte sich als zutreffend erwiesen. Langes goldenes Haar, ein Lächeln, das nicht vorhandenes Wissen vortäuschen sollte, und wichtigtuerisches Gehabe waren seine auffallendsten Merkmale. Doch Raoden brauchte ihn. Sich vom Patriarchen des Shu-Korath krönen zu lassen war eine aussagekräftige Handlung, die einen wichtigen Präzedenzfall schuf.
Sarene lächelte aufmunternd, als Raoden herankam. Er fand es erstaunlich, wie viel sie zu geben hatte trotz allem, was sie selbst in letzter Zeit durchgemacht hatte. Er trat neben sie auf das Podium und drehte sich dann um, sodass er den Blick über die Adeligen Arelons schweifen lassen konnte.
Er erkannte die meisten Gesichter wieder. Viele von ihnen hatten ihn vor seinem Exil unterstützt. Jetzt waren die meisten schlicht und einfach verwirrt. Sein Auftauchen war plötzlich gewesen, genau wie Telriis Tod. Es gingen überall Gerüchte um, dass Raoden hinter dem Attentat steckte, aber den meisten Menschen schien das gleichgültig zu sein. Ihre Augen hatten allen Glanz verloren, und man sah ihnen an, dass sie schon seit Längerem unter großem Druck standen und erschöpft waren.
Es wird jetzt anders werden, versprach Raoden ihnen stillschweigend. Kein Zweifeln mehr. Keine Unsicherheit. Wir werden gemeinsam mit Teod Front gegen Fjorden machen.
»Mylords und Myladys«, sagte Raoden. »Volk von Arelon. Unser armes Königreich hat in den vergangenen zehn Jahren zu stark gelitten. Lasst es uns wieder ins Lot bringen. Bei dieser Krone schwöre ich ...«
Raoden erstarrte. Er konnte ... eine Macht spüren. Zuerst dachte er, das Dor greife an. Doch dann erkannte er, dass es sich um etwas anderes handelte - etwas, was er noch nie zuvor erlebt hatte. Etwas, was von außen kam.
Noch jemand manipulierte das Dor.
Er suchte die Menschenmenge ab, ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen. Sein Blick fiel auf eine kleine, in Rot gekleidete Gestalt, die inmitten der Adeligen beinahe nicht zu erkennen war. Die Kraft ging von diesem Mann aus.
Ein derethischer Priester?, dachte Raoden ungläubig. Der Mann lächelte. Das Haar unter seiner Kapuze war blond. Was war nur los?
Die Stimmung der Menge schlug um. Etliche Menschen fielen auf der Stelle in Ohnmacht, aber die meisten starrten einfach nur. Entgeistert. Voll Entsetzen. Doch auf gewisse Weise nicht sonderlich überrascht. Sie waren längst so niedergeknüppelt, dass sie mit etwas Schrecklichem gerechnet hatten. Ohne nachzusehen, wusste Raoden, dass die Wirkung seines Illusionszaubers nachgelassen hatte.
Der Patriarch stieß ein Keuchen aus. Er ließ die Krone fallen, als er rückwärts taumelte. Raoden blickte zur Menge zurück. Ihm war übel. Er war so nahe daran gewesen
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