Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elantris

Elantris

Titel: Elantris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
Vom Netzwerk:
würde ihr Grab sein. Da bemerkte Lukel eine Gestalt im hinteren Teil der Gruppe, von den Umstehenden verborgen. Der Mann bewegte sich langsam. Seine Hände hielten keinen Augenblick still.
Shuden?, dachte Lukel. Die Augen des Jindos waren geschlossen, und seine Hände bewegten sich geschmeidig in einer Art Muster. Verwirrt beobachtete Lukel seinen Freund. Hatte der
Jindo den Verstand verloren? Dann entsann Lukel sich des eigenartigen Tanzes, den Shuden damals während Sarenes erster Fechtstunde aufgeführt hatte. ChayShan.
Shuden bewegte die Hände mit einer Langsamkeit, die die in ihm schwelende Wut kaum erahnen ließ. Lukel sah ihm mit wachsender Entschlossenheit zu und begriff. Shuden war kein Krieger. Sein Tanz war normalerweise Leibesübung, keine echte Vorbereitung auf den Kampf. Doch er würde nicht widerstandslos zulassen, dass die Menschen, die er liebte, ermordet würden. Er würde lieber bei dem Versuch, sie zu retten, ums Leben kommen, als dazusitzen und abzuwarten in der Hoffnung, das Schicksal werde ihnen ein Wunder schicken.
Beschämt holte Lukel tief Luft. Er blickte sich suchend um. Da bemerkte er ein Tischbein, das einer der Soldaten in der Nähe hatte fallen lassen. Wenn es so weit war, würde Shuden nicht allein kämpfen müssen.
Raoden schwebte, gefühllos und ohne Besinnung. Zeit hatte keinerlei Bedeutung für ihn - er war die Zeit. Sie war sein Wesen. Gelegentlich trieb er auf die Oberfläche dessen zu, was er einst sein Bewusstsein genannt hatte, aber als er sich ihr näherte, verspürte er Schmerzen und wich wieder zurück. Die Qualen waren wie die Wasseroberfläche eines Sees: Wenn er durch sie hindurchtauchte, würden die Schmerzen zurückkehren und ihn umhüllen.
Doch jedes Mal, wenn er der Schmerzoberfläche nahe kam, glaubte er, Bilder zu sehen. Bilder, die durchaus echt sein konnten, wahrscheinlich aber bloß Spiegelbilder seiner Erinnerung waren. Er sah Galladons Gesicht, gleichzeitig besorgt und wütend. Er sah Karata, die Augen schwer vor Verzweiflung. Er sah eine Berglandschaft voll Gestrüpp und Felsen.
Es war ihm alles einerlei.
»Oft wünsche ich mir, sie hätten sie einfach sterben lassen.«
Hrathen hob den Blick. Dilafs Stimme klang in sich gekehrt, als spräche er zu sich selbst. Doch der Priester sah Hrathen unverwandt an.
»Was?«, fragte Hrathen zögernd.
»Wenn sie sie nur hätten sterben lassen ...« Dilafs Stimme verlor sich wieder. Er saß am Rand des Daches und beobachtete, wie sich die Schiffe unter ihnen sammelten. Es war ihm anzusehen, dass er in Erinnerungen schwelgte. Psychisch war er immer ungefestigt gewesen. Kein Mensch hielt das Maß an leidenschaftlicher Inbrunst, das in Dilaf loderte, über längere Zeit aus, ohne Schaden zu nehmen. In ein paar Jahren würde Dilaf wahrscheinlich vollständig wahnsinnig sein.
»Damals war ich bereits fünfzig Jahre alt, Hrathen«, sagte Dilaf. »Habt Ihr das gewusst? Ich habe fast siebzig Jahre auf dem Buckel, auch wenn mein Körper nicht älter als zwanzig aussieht. Sie hielt mich für den schönsten Mann, den sie je gesehen hatte, obwohl man meinen Körper entstellt und zerstört hatte, damit er die Gestalt eines Arelenen annähme.«
Hrathen schwieg. Er hatte von derlei Dingen gehört; dass die Beschwörungen von Dakhor tatsächlich das Aussehen eines Menschen verändern konnten. Die Verwandlung musste zweifellos sehr schmerzhaft gewesen sein.
»Als sie krank wurde, brachte ich sie nach Elantris«, murmelte Dilaf, die Beine fest an die Brust gezogen. »Ich habe gewusst, dass es heidnisch war, habe gewusst, dass es gotteslästerlich war, aber nicht einmal vierzig Jahre als Dakhorer konnten mich davon abhalten ... nicht solange ich dachte, Elantris könne sie retten. Elantris kann heilen, hieß es, Dakhor hingegen nicht. Und ich habe sie dorthin gebracht.«
Der Mönch sah Hrathen nicht länger an. Er blickte ins Leere. »Sie haben sie verändert«, flüsterte er. »Sie haben behauptet, bei dem Zauber sei ein Fehler unterlaufen, aber ich weiß, wie es wirklich war. Sie haben mich gekannt, und sie haben mich gehasst. Warum mussten sie dann Seala mit ihrem Fluch belegen? Ihre Haut wurde schwarz, die Haare fielen ihr aus, und sie fing an zu sterben. Nachts schrie sie, brüllte, dass die Schmerzen sie von innen auffräßen. Letzten Endes stürzte sie sich von der Stadtmauer.«
Dilafs Stimme nahm einen ehrfurchtsvollen, traurigen Klang an. »Ich habe sie am Fuß der Mauer gefunden. Sie war noch am Leben. Immer noch am Leben,

Weitere Kostenlose Bücher