Elantris
sich. Doch in seinem Innern machte sich trotzige Hoffnung breit. »Was immer es sein mag, Karata, es ist wichtig. Wir müssen dafür sorgen, dass er es schafft.« Er lief Raoden hinterher, folgte dem Prinzen auf dem Fuße.
Ein paar Minuten später deutete Karata nach vorn. »Da!« Ein Trupp aus sechs fjordellischen Wächtern, die wohl die Stadt nach Versprengten absuchten, kam die Innenseite von Kaes Grenzwall entlang. Der Anführer bemerkte Raoden und hob eine Hand.
»Kommt schon«, sagte Galladon, der auf einmal mit unvermuteter Kraft hinter Raoden herstürmte. »Egal, was sonst noch passiert, Karata, sie dürfen ihn auf keinen Fall aufhalten!«
Raoden hörte kaum, wie sich die Männer näherten, und er bekam nur am Rande mit, wie Galladon und Karata von hinten angerannt kamen und sich verzweifelt auf die Soldaten stürzten. Seine Freunde waren unbewaffnet. Eine Stimme im hintersten Winkel seines Verstandes warnte ihn, dass sie ihm nicht viel Zeit verschaffen konnten.
Er lief weiter, den Stock starr umklammert. Er war sich nicht sicher, woher er wusste, dass er sich am richtigen Ort befand, aber es war so. Er konnte es fühlen.
Nur noch ein Stückchen weiter. Nur noch ein Stückchen weiter.
Eine Hand packte ihn. Eine Stimme brüllte ihn auf Fjordellisch an. Raoden stolperte und fiel zu Boden - aber er hielt den Stock fest, ließ ihn noch nicht einmal einen Zentimeter verrutschen. Einen Augenblick später ertönte ein Ächzen, und die Hand ließ von ihm ab.
Nur noch ein Stückchen weiter.
Um ihn her wurde gekämpft. Galladon und Karata lenkten die Aufmerksamkeit der Soldaten ganz auf sich. Raoden stieß ein urtümliches Schluchzen aus und kroch wie ein Kind auf dem Boden entlang, während er seine Linie in das Erdreich grub. Stiefel tauchten neben Raodens Hand auf und hätten um ein Haar seine Finger zermalmt. Er schob sich weiter.
Gegen Ende blickte er auf. Ein Soldat vollführte den Rest des Hiebes, der Karatas Kopf von ihrem Körper abtrennte. Galladon fiel mit zwei Schwertern im Magen. Ein Soldat deutete auf Raoden.
Raoden knirschte mit den Zähnen und vollendete seine Linie im Schmutz.
Galladons massiger Körper fiel krachend zu Boden. Karatas Kopf schlug gegen die niedrige Steinmauer. Der Soldat machte einen Schritt auf Raoden zu.
Aus der Erde explodierte Licht.
Es barst wie ein silberner Fluss aus dem Schmutz und sprühte entlang der Linie, die Raoden gezeichnet hatte, in die Luft. Das Licht umhüllte ihn, aber es war mehr als nur Licht. Es war essenzielle Reinheit. Vergeistigte Macht. Das Dor. Es spülte über Raoden hinweg und bedeckte ihn mit einer warmen Flüssigkeit.
Und zum ersten Mal seit zwei Monaten hörten die Schmerzen auf.
Das Licht breitete sich auf Raodens Linie aus, die zu Kaes niedrigem Grenzwall führte. Es folgte dem Wall, stob aus dem Boden und beschrieb einen Kreis, bis es Kae vollständig umgab. Das war jedoch nicht alles. Die Macht schoss die kurze Straße zwischen Kae und Elantris entlang und verteilte sich ebenso über die Mauer der gewaltigen Stadt. Von Elantris aus bewegte das Licht sich auf die anderen drei Außenstädte zu, deren Trümmer im Laufe der zehn Jahre seit der Reod so gut wie in Vergessenheit geraten waren. Schon bald waren alle fünf Städte von Licht umgeben - fünf prächtige Säulen aus Energie.
Die Städte bildeten gemeinsam ein riesengroßes Aon - den Mittelpunkt der elantrischen Macht. Es hatte nur der Schluchtlinie bedurft, um wieder zu funktionieren.
Ein Quadrat, vier Kreise. Das Aon Rao. Elantris' Lebensgeist.
Raoden stand in dem gleißenden Lichtstrom, seine Kleidung flatterte in der einzigartigen Macht. Er konnte fühlen, wie seine Kraft zurückkehrte, wie seine Schmerzen unwichtigen Erinnerungen gleich verblassten und seine Verletzungen heilten. Ohne hinzusehen wusste er, dass weiches weißes Haar auf seiner Kopfhaut gewachsen war, dass seine Haut ihre kränkliche Färbung verloren hatte und stattdessen silbern schimmerte.
Dann erlebte er das freudigste Ereignis von allen. Wie eine donnernde Trommel begann ihm das Herz in der Brust zu schlagen. Die Shaod, die Verwandlung, hatte ihr Werk endlich zu Ende gebracht.
Mit einem bedauernden Seufzen trat Raoden aus dem Licht und zeigte sich der Welt als verwandeltes Wesen. Entgeistert erhob sich Galladon ein paar Meter entfernt vom Boden. Seine Haut hatte einen dunklen metallischen Silberton angenommen.
Die verängstigten Soldaten taumelten rückwärts. Etliche machten Zeichen gegen das Böse und riefen ihren Gott
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