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Elben Drachen Schatten

Elben Drachen Schatten

Titel: Elben Drachen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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ihn zu kränken.
    Lirandil hatte einst in Athranor eine der letzten Kolonien der Sinnlosen gefunden. Plötzlich glaubte er Anzeichen dafür zu erkennen, dass diese Blume ganz in der Nähe war. Er zog seine Schlüsse aus winzigen Veränderungen im Verhalten der Fauna und schien auch etwas zu wittern. Er sog die Luft tief ein – eine Luft, die so schwer und von Duftstoffen gesättigt war, dass ein anderer Elb kaum eine einzige Nuance darin herausgerochen hätte.
    »Ja, sie sind in der Nähe«, murmelte er. Er lauschte und beobachtete die Wald-Ouroungour, die sich von Baum zu Baum schwangen oder sich in riskanten Segelflugmanövern zu Boden gleiten ließen. Geradezu halsbrecherisch wirkten viele ihrer Bewegungen, die eine Mischung aus Fliegen und Springen darstellten.
    Schließlich – und viel schneller, als Isidorn erwartet hatte ― fand der Trupp eine Kolonie der Sinnlosen. Natürlich war es nicht dieselbe Kolonie, auf die Isidorn bei seiner ersten Expedition gestoßen war. Zudem war dieses Blumenfeld mitten im Wald ungleich größer.
    »Das ist sie also – jene Pflanze, die vielleicht die Rettung für die Lebensüberdrüssigen bedeuten könnte!«, stieß Branagorn bewegt hervor, als er die blau leuchtenden Blüten im Halbdunkel des Waldes sah. Die Wald-Ouroungour, die den Trupp bisher in sicherem Abstand begleitet hatten, waren auf einmal verschwunden – und dafür hatten sie zweifellos gute Gründe.
    Isidorn hatte Branagorn während des Weges in allen Einzelheiten geschildert, was mit dem rattenartigen Tier geschehen war, das in die Kolonie geraten war.
    »Keinen Schritt weiter!«, sagte Nathranwen. »Was jetzt zu tun ist, gehört zur Kunst einer Heilerin. Zumindest war das in der Alten Zeit von Athranor so, und ich hoffe, dass ich die überlieferte Schrift, die ich gelesen habe, noch richtig im Kopf habe und interpretiere – denn sonst«, fügte sie leiser hinzu, »wird dies mein Ende sein.« Sie wandte sich an Branagorn. »Wenn es mir nicht gelingen sollte, die empfindliche Seele dieser Blumen zu besänftigen, wird auch keiner von euch es schaffen, werter Branagorn. Ich beschwöre Euch, es in diesem Fall nicht selbst zu versuchen. Versprecht Ihr mir das?«
    »Ich bin voller Hoffnung, geschätzte Nathranwen«, erwiderte Branagorn und wich damit der Frage aus. »Und ich habe volles Vertrauen in Eure Fähigkeiten.«
    »Euer Versprechen wäre mir in diesem Augenblick lieber – denn der Gedanken, dass Ihr Euch sinnlos ins Unglück stürzen könntet, belastet mich.«
    »Das werde ich nicht«, versprach Branagorn.
    »So weicht zurück. Und folgt mir nicht – gleichgültig, was geschieht!«
    Dann trat Nathranwen vor, hob die Hände und stimmte einen Singsang an, der aus einer Folge scheinbar sinnloser Silben bestand. Vielleicht hatten diese Silben in einem Dialekt der alten Zeit von Athranor einmal eine Bedeutung gehabt, vielleicht stammten sie auch aus einer noch älteren Sprache der athranorischen Vorzeit, möglicherweise sogar aus jener mythischen Epoche des Anfangs, als der Legende nach jedes Wort magische Bedeutung gehabt hatte; der Überlieferung nach waren alle magischen Formeln Relikte dieser ersten Sprache.
    Furchtlos trat Nathranwen durch die eng beieinander stehenden Gruppen von leuchtenden Blumen. Wie blaue Lichter wirkten sie im Halbdunkel des Waldes. Sie drehten ihre Kelche in Richtung der Heilerin. Hier und da war ein Laut zu hören, der einer Mischung aus Seufzen und Stöhnen glich.
    Nathranwens Singsang wurde höher und emphatischer. Dann sank der Tonfall plötzlich, und Nathranwen flüsterte nur noch; zischende Laute kamen zwischen ihren Lippen hervor, doch sie hielt einen pulsierenden Rhythmus bei, der an das Klopfen eines Herzens erinnerte. Allmählich richteten sich alle Blumenkelche in ihre Richtung.
    Isidorn wandte den Blick zur Seite. Er wollte nicht miterleben, wie Nathranwen ein Opfer der säureartigen Dämpfe wurde, welche die Blütenkelche ausgestoßen konnten.
    Die Heilerin kniete nieder und knickte eine Blume nach der anderen ab. Jedes Mal war dabei ein steinerweichendes Stöhnen zu vernehmen, so als würde der jeweiligen Pflanze ein großer Schmerz zugefügt. Aber keine der Blumen wehrte sich gegen Nathranwen. Die magischen Formeln, die sie zischend wisperte, hielten die Pflanzen offenbar wirksam davon ab. Nathranwen wandte das richtige Ritual an. Einen Blumenstängel nach dem anderen knickte sie ab, und schließlich hatte sie einen Strauß im Arm. Das Stöhnen und Wehklagen war

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