Elben Drachen Schatten
inzwischen zu einem schaurigen Chor angeschwollen. Selbst viele der nicht betroffenen Blumen wanden sich, so als wollten sie sich vor einem Zugriff schützen oder sich einer unsichtbaren Hand entwinden.
Für Branagorn und die anderen Elben, die zusammen mit der Heilerin diesen seltsamen Ort betreten hatten, war diese Geräuschkulisse kaum erträglich. Unwillkürlich entstanden in ihrer Vorstellung Bilder, die wie Illustrationen zu den schaurigen Lauten waren. Bilder von erschlagenen Elbenkindern, gequälten Körpern und Marterungen der barbarischsten Art …
»Diese Pflanzen haben offenbar eine Seele«, stieß Branagorn gleichermaßen abgestoßen wie entsetzt hervor. Einige der Elben hielten sich die Ohren zu, in der Hoffnung, dem furchtbaren Einfluss dieser schrecklichen Klagelaute zu entgehen. Aber das war sinnlos. Es waren nicht die Ohren, mit denen sie das Jammern der Blumen vernahmen; es wurde direkt in den Geist eines jeden der anwesenden Elben übertragen.
»Nein, sie haben keine Seele«, erwiderte Lirandil mit fester Stimme. »Dies ist nichts weiter als ein raffinierter Schutzmechanismus, der sich über die Ewigkeiten entwickelt hat. Ihr dürft nicht zulassen, dass die Pflanzen euren Geist beeinflusst. Alles, was ihr zu sehen oder zu hören glaubt, kommt in Wahrheit aus der Tiefe eurer eigenen Seelen.«
Quälend lange Augenblicke waren die Elben der Flut aus grauenvollen, Mitleid erregenden Gedankenbildern ausgesetzt. Dann erhob sich Nathranwen. Sie hatte entschieden, genug Blumen gesammelt zu haben. Vielleicht hatte sie auch einfach nicht länger die Kraft, sich der geistigen Angriffe dieser außergewöhnlichen Pflanzen zu erwehren. Ihr Gesicht wirkte eingefallen, und unter ihren Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet, so als hätte sie nächtelang nicht geschlafen und ein Jahrzehnt schlimmster körperlicher und seelischer Strapazen hinter sich.
Branagorn erschrak über diese Wirkung der Blumen; Nathranwen schien einen Teil ihrer Lebenskraft verloren zu haben. Wer immer auch mit dem Gedanken spielte, sich der offenbar kaum vorstellbaren Kräfte zu bedienen, die in diesen Blüten lag, musste bereit sein, einen hohen Preis dafür zu bezahlen. Und Nathranwen hatte genau dies getan, ging es Branagorn durch den Kopf.
Sie kehrte zu den anderen zurück und murmelte dabei noch immer leise zischend die uralten Formeln, während der Chor der Blumenstimmen einen immer wütenderen Unterton annahm und schließlich den Klang eines Hornissenschwarms bekam. Dann hatte es die Heilerin endlich geschafft, die Blumenkolonie zu verlassen.
»Es war klug, nicht noch mehr Blumen zu sammeln«, erklärte Lirandil, nachdem Nathranwen mit ihrem wispernden Singsang aufhörte und schwer aufatmete.
Sie drehte sich um und schaute hin zu den Blumen, deren Kelche ihr nachzublicken schienen. »Schnell!«, rief sie. »So schnell wie möglich weg von hier! Einige Momente wirkt meine Magie noch, aber wer weiß, wie lange das sein wird!«
Die Elben setzten sich sofort in Bewegung, zumal Branagorn und Isidorn diesen Befehl der Heilerin nachdrücklich unterstützten. Sie entfernten sich von der Blumenkolonie, über der wenige Augenblicke später eine ätzende Wolke aus weißem Gas hing, ausgestoßen aus mehreren tausend blau leuchtenden Blütenkelchen. Wie gebannt blieb Branagorn stehen und sah, wie ein grauer Vogel, der wohl glaubte, die Blumenkolonie einfach überfliegen zu können, von dieser Wolke mitten im Flug erfasst wurde und im nächsten Moment bereits völlig zersetzt auf den Boden aufschlug.
Nathranwen blickte auf die Blumen in ihrem Arm. »Das ist viel mehr, als ich je zu erhoffen wagte.«
In diesem Augenblick ließen Geräusche aus dem dichten Unterholz sie alle aufhorchen. Laute waren zu hören, welche die Athranor-Geborenen des Trupps an das Schnauben von Pferden erinnerte, und das Stampfen von Hufen.
Thamandor griff nach seinen Einhandarmbrüsten, Lirandil nahm den Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil auf die Sehne, während Branagorns Hand den Griff seines Schwertes umfasste. Von überall her schien der Hufschlag zu kommen.
»Das sind keine Pferde!«, flüsterte Lirandil. »Auch wenn sich der Hufschlag ähnlich anhören mag. Aber es gibt da ein paar feine Unterschiede.«
Da tauchten die Schatten von Kreaturen im Halbdunkel des Waldes auf, die mindestens anderthalb Mannlängen aufragten. Auf den ersten Blick wirkten sie wie die Schatten von Reitern, dann aber erkannten die Elben, dass die Oberkörper dieser
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