Elben Drachen Schatten
Wieder wanderte ein Bissen in seinen Mund und er verschlang ihn wie ein wildes Tier.
"Da bin ich anderer Meinung, Freund Mergun. Es muss einen Sinn in diesem Leben geben - und wenn er darin besteht, dass der Mensch erkennen muss, dass es keinen Sinn im Leben gibt." Das war Edro. Er sah wieder verträumt und traurig auf die sich biegenden Grashalme, mit denen der Wind nach Belieben spielte.
"Es ist paradox, was Ihr sagt, Edro. Aber ich glaube, es liegt mehr Wahrheit darin, als man anfänglich meint", mischte sich jetzt Lakyr ein.
"Es ist ganz und gar paradox!", brummte Mergun.
"Viele Dinge sind paradox. Warum nicht auch dieses?", war Edros Antwort. Lakyrs bepelzte Freundin miaute leise, gerade so, als wollte sie auch etwas zum Gespräch beitragen. Lakyr war sich manchmal nicht ganz sicher, ob sie vielleicht die Sprache der Menschen zu verstehen vermochte.
"Wir müssen weiter", sagte Mergun plötzlich. Sie packten ihre Sachen zusammen und machten sich wieder auf den Weg. Das Gelände wurde zunehmend flacher, je weiter sie sich dem großen Ghorrap-Strom näherten. Am Abend erreichten sie ein winziges Dorf, Tasmaderi genannt. Auf keiner Karte war es verzeichnet gewesen, so klein war es. Einst hatte es viele Dörfer dieser Größe unterhalb der Mündung des großen Stroms gegeben, aber die meisten waren jetzt verlassene Ruinen. Auch in Tasmaderi standen viele Häuser leer. Vor allen Dingen die jungen Leute waren ausgewandert und hatten in der Riesenstadt Ghormall ihr Heil gesucht. Doch nur die wenigsten hatten es gefunden. Die Lette von Täsmaderi aber waren sehr freundlich und zuvorkommend. Sie gestatteten den vier Wanderern gern, sich in den verlassen stehenden Häusern einzuquartieren. Als sich Edro jedoch bei einem von ihnen nach dem großen Strom erkundigte (den er zu seinem Erstaunen nirgends sah), erlebte er eine herbe Enttäuschung.
"Mindestens noch eine Tagesreise", hatte der Gefragte geantwortet. So hatte der Dakorier sich also geirrt, als er meinte, den Weg von Ghormall zum Fluss in einem Tag schaffen zu können. Die vielen Moore und Sümpfe hatten sie wohl doch mehr aufgehalten, als sie voraussehen konnten.
*
Am anderen Tag ging es dann weiter. Auf hügeligen Auen sahen sie halbwilde Rinder grasen und manchmal hörten sie auch die entfernten Stimmen von Menschen. Aber denen gingen sie lieber aus dem Weg. Ihr Weg wurde nun zunehmend angenehmer, denn es gab nirgends die tückischen Moore. Am Nachmittag erreichten sie dann ein kleines Dorf am Flussufer. Es hieß Dihom-Huras. Die Bewohner von Dihom-Huras lebten nicht im ÜberFluss, aber sie schienen zufrieden. Ihr Erwerb war der Fischfang und wie es schien, konnte man in diesem Teil der Welt davon gut leben. Die Freunde wandten sich an einen für die Verhältnisse dieses Dorfes reichen Fischer. Er hatte mehrere Boote am Flussrand des großen Ghorrap liegen und sie konnten ihn schließlich dazu überreden, ihnen eins zu verkaufen.
"Ich würde vorschlagen, erst morgen aufzubrechen", meinte Mergun, als er das Boot betrachtete. In Lakyrs Augen blitzte es entschlossen.
"Wir sollten so schnell aufbrechen, wie möglich. Warum nicht schon jetzt?", fragte er.
"In einigen Stunden ist es dunkel. Elfénia läuft uns nicht davon, Freund Lakyr", erwiderte der Mann von der Wolfsinsel. Lakyr zuckte mit den Schultern. Er wandte sich fragend an Edro, der noch nichts gesagt hatte.
"Was meint Ihr, Edro?"
"Ich bin dafür, heute Nacht hier zu bleiben. Der Ghorrap hält viele Gefahren für uns bereit und wir sollten ihnen ausgeruht und frisch begegnen. Wir haben so lange nach Elfénia gesucht, da ist es nicht schlimm, wenn wir noch ein wenig warten." Lakyrs Blick wanderte dann weiter zu Kiria.
"Ich bin sehr müde", meinte sie nur. Der Thorkyraner nickte. Sie blieben also bis zum Morgen in Dihom-Huras. Kurz nach Sonnenaufgang aber hatten sie das Boot bereits zu Wasser gelassen. Es war ein seltsames Gefühl, fand Edro, das Paddel ins Wasser zu tauchen und das Gefährt ein wenig voran zu schieben. An Vorräten hatte die Gruppe nur äußerst wenig mitgenommen, da sie darauf vertrauten, von dem leben zu können, was die Natur ihnen bot. Von Fischen zum Beispiel, von denen es im ruhig fließenden Wasser des Ghorrap mehr als genug gab. Die Stunden flossen dahin und noch immer waren die Ufer zu beiden Seiten des Flusses nur mit hügeligen Auen bedeckt. Sie sahen grün und saftig - und irgendwie unberührt aus. Aber nirgends zeigte sich der Wald, der irgendwo Flussaufwärts
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